Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
geht nie aus. Soll ich hochkommen und es Ihnen zeigen?«
Sie wollte ihn eigentlich nicht herüber bemühen, denn schließlich war er krank und zudem den ganzen Tag unterwegs gewesen. Er war sicher müde. Doch plötzlich schien ihr der Gedanke an einen Besucher sehr verlockend. »Wäre das eine schreckliche Zumutung? Ich habe einen guten Whisky hier.«
Sie hörte ihn lachen. »Bin schon unterwegs.«
Es waren kaum fünfzehn Minuten vergangen, als sie die Scheinwerfer des Land Rover aus den Bäumen auftauchen sah. Roger kletterte aus dem Wagen. »Greg ist ein oder zwei Tage fort. Den mache ich zur Schnecke, wenn er zurückkommt. Er sollte Ihnen doch zeigen, wie alles funktioniert.«
»Das hat er bestimmt vergessen. Ich hatte so viel Zeug, das reingebracht werden mußte.« Sie machte die Tür hinter ihm zu und ging voraus ins Wohnzimmer. Sie hatte die Whiskyflasche und zwei Gläser auf den Tisch gestellt. Sie schenkte ein, dann sah sie ihm zu, wie er vor dem Ofen niederkniete und die Türen aufmachte. »Zuerst brauchen wir eine tüchtige Flamme, etwa so.« Wie durch Zauberei erschien ein Feuer unter seinen dünnen Händen. »Dann legen Sie ein oder zwei Scheite auf. So.« Er schob zwei Scheite in die schmale Öffnung, wundersamerweise paßten sie hinein. Dann machte er die Türen zu. »Jetzt lassen sie es eine Weile so brennen, die Luftklappen bleiben auf. Wenn das Feuer richtig brennt œ etwa zwei Drittel das Glas da hinunter -, dann machen wir sie ganz zu. Das Geheimnis ist, es langsam und gleichmäßig zum Brennen zu bringen und dann soviel Luft wie möglich abzuschneiden. Zu guter Letzt müssen Sie die Scheite ganz dicht reinstapeln œ das ist ein Kunststück, das Sie üben müssen, aber das haben Sie bald raus. Der Ofen hält alles mollig warm, wenn er erst mal richtig läuft.«
Er nahm das Glas, das sie ihm anbot, setzte sich in einen der Lehnstühle und blickte sich im Zimmer um. »Es sieht schon richtig gemütlich aus.«
Es war so beruhigend und normal, wie sich der lange, dünne Mann in seinen abgetragenen Cordhosen und der alten Tweedjacke in dem Sessel lümmelte, daß Kate spüren konnte, wie schnell sich die Welle nervöser Einsamkeit, die sie vorher überrollt hatte, zurückzog. »Soweit ich weiß, hat Ihr Sohn bis jetzt hier gewohnt. Es tut mir leid, wenn mein Kommen ihn gekränkt hat«, sagte sie, als sie sich ihm gegenüber hinsetzte.
»Er hat keinen Grund, gekränkt zu sein.« Einen Moment lang huschte ein Schatten über Rogers Gesicht. »Er weiß, daß wir das Geld brauchen. Tut mir leid, wenn ich das so deutlich sage, aber so ist das im Leben. Und es ist schön für uns, eine nette Nachbarin zu haben.« Er lächelte freundlich. »Wie Sie schon bemerkt haben, ist es hier oben ganz schön abgelegen. Und weil wir gerade dabei sind: Diana hat mir aufgetragen, Sie zu fragen, ob Sie am Mittwoch zum Abendessen zu uns kommen wollen. Wir haben vollstes Verständnis, wenn Sie nicht möchten, weil Sie arbeiten müssen, aber -«
»Oh, sehr gern.« Die Erwiderung kam so schnell, daß es sie selbst erstaunte. »Ich freue mich unheimlich darauf.«
»Gut.« Sein Lächeln war ansteckend, und es vertiefte das Geflecht aus Falten um seine Augen. »Sie haben dann das besondere Vergnügen, unsere beiden Kinder kennenzulernen, Allie und Patrick.« Er leerte sein Glas und stand auf. »Wenn nichts mehr zu tun ist, sollte ich besser heimfahren. Di hat bestimmt schon das Abendessen fertig.«
Bleiben Sie noch, wollte sie sagen. Bitte, bleiben Sie noch und unterhalten Sie sich mit mir. Sie mochte es, wenn er im Zimmer war. Seine Anwesenheit war beruhigend. Er war bodenständig. Und sicher. Aber sie sagte nichts. Lächelnd brachte sie ihn hinaus. »Ich erstatte demnächst Bericht über meinen Erfolg oder Mißerfolg mit dem Ofen, wenn wir uns sehen.«
»Tun Sie das.«
Sie sah zu, wie der Land Rover zurückstieß und dann wieder den Weg zurückfuhr, wie das Licht der Scheinwerfer sich gegen den Wald aufbäumte, als der Wagen durch die Furchen schlitterte. Einen Augenblick später war er außer Sichtweite.
Sie schloß die Tür, verriegelte sie wieder und ging zurück ins Wohnzimmer. Der Holzofen hatte sich beruhigt und erzeugte jetzt, als habe er die Hand eines Könners erkannt, eine ausreichend heiße Glut. Erfreut blickte sie sich um. Obwohl Roger gegangen war, war etwas von der Freundlichkeit, die er mitgebracht hatte, geblieben. Darin gut aufgehoben, würde sie sich ein Abendessen machen, ein bißchen lesen, ein
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