Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
Vom Netzwerk:
Fettuccine und einen Salat gegönnt hatte, machte sie noch einen spontanen Einkauf œ eine Flasche Silberpolitur. Das verwitterte Silber der Brosche in der Glasvitrine hatte sie auf diese Idee gebracht. Auch sie mußte einmal ein korrodierter, unkenntlicher Metallklumpen gewesen sein. Es war vermutlich falsch, den Halsreif selbst zu reinigen. Sie sollte das eigentlich den ausgebildeten Restauratoren des Museums überlassen. Aber wenn sie dabei vorsichtig zu Werke ging, sehr vorsichtig? œ Sie mußte einfach sehen, ob sie dasselbe zarte Leuchten erreichen konnte. Sie hatte den Halsring in ihr Auto gesperrt, sie hatte ihn nicht im Cottage lassen wollen, damit Alison ihn dort nicht fand. Jetzt wollte sie plötzlich wieder zu ihm, wollte sicher sein, daß nichts mit ihm geschah.
    Ein kalter, winterlicher Sonnenschein flutete durch die Stadt, als sie zurück zum Auto eilte. Auf dem Weg dahin kam sie am Theater vorbei und durch den erhaltenen Bogen des römischen Balkerne-Tores. Sie hatte von hier einen wunderbaren Blick auf den Römerwall, als sie, beladen mit ihren Paketen, über die Fußgängerbrücke ging, die über eine der mehrspurigen Hauptverkehrsstraßen direkt zum mehrstöckigen Parkhaus führte.
    Der Weg zur Redall-Farm hinunter war erschreckend rutschig. Zweimal brach der Wagen seitlich aus, wo er sich heute morgen noch seinen Weg gebahnt hatte. Vermutlich hatten andere Autos den Zustand des Feldwegs verschlimmert. Sie hoffte, die Lindseys hätten es sich anders überlegt und seien früher als geplant zurückgekommen, aber sie sah keine Spur von ihnen, als sie in der Scheune parkte. Sie nahm den Halsreif aus dem abgeschlossenen Handschuhfach und legte ihn in ihre Umhängetasche, lud all ihre Einkäufe aus und vertauschte schließlich ihre Schuhe mit schweren Stiefeln.
    Es dauerte lange, bis sie die halbe Meile durch den Matsch zum Cottage hochgegangen war. Sie blieb mehrere Male stehen, um das Gewicht der schweren Taschen zu verlagern und zu verschnaufen. Der Wald sah im schräg einfallenden Sonnenlicht schön aus. Ohne Blätter waren die Bäume anmutige, hoch aufragende Tänzer im Wind, und rings um ihre Füße sah man verborgene Blumen; Labkraut, Winterheliotrope und Ehrenpreis, hin und wieder eine kleine Ansammlung Schneeglöckchen mit eng zusammengerollten Knospen. Der Duft von Kiefern, nasser Vegetation und Harz war scharf und belebend. Er war, das wurde ihr plötzlich bewußt, so ganz anders als der erdige Geruch, der vergangene Nacht ihr Cottage durchdrungen hatte.
    Zu ihrer Erleichterung fand sie die Tür abgeschlossen vor. Im Haus lud sie ihre Einkäufe auf dem Küchentisch ab und unternahm eine aufmerksame Besichtigungstour. Nichts war angerührt worden. Das Haar, das sie über der Schublade befestigt hatte, war noch da. Niemand war eingedrungen. Je länger sie während des Tages darüber nachgedacht hatte, desto sicherer war sie, daß Alison für die Störungen der letzten Nacht verantwortlich gewesen war. Wer sonst konnte es gewesen sein? Mit einer wortlosen Entschuldigung an ihre junge Nachbarin in der Düne für ihren Verdacht, erneut in das Haus eingedrungen zu sein, legte sie den Halsreif zurück an seinen alten Platz. Erst dann, fröhlich genug, um bei der Arbeit zu pfeifen, packte sie ihre Taschen aus und setzte den Kessel auf.

XV
    Alison hatte lange Zeit am Rande ihrer Ausgrabung gestanden und den Schaden begutachtet, den Wind und Flut an ihrer sorgfältig freigelegten Grabungsstelle angerichtet hatten. Die Düne war fast vollständig auseinandergebrochen. Die Hälfte der Erdschicht, die sie tags zuvor noch intakt verlassen hatte, war eingefallen. Sie lag, ein Gemenge aus nassem Sand und Erde, am Fuß der Senke, übersät mit in sich verschlungenem Seetang, Muscheln und dem verrottenden Kadaver eines großen Fischs. Alison verzog bei seinem Anblick das Gesicht. Sie stellte ihre ganze Ausrüstung am Rande der Senke ab und sprang hinein. Den toten Fisch hob sie mit einem Spaten hoch und schleuderte ihn voller Schauder zurück auf den Strand. Augenblicke später zog eine schreiende Möwe darüber ihre Kreise, die Krallen zur Landung ausgestreckt.
    Alison wandte sich wieder ihrer zerstörten Düne zu und sah sich um. Sie hatte bereits einige weitere Stücke jener seltsamen roten Töpferware in der losen Erde entdeckt, aber da waren auch noch andere Dinge. Kleine runde Dinger. Schwarz. »Münzen!« Ihr schriller Schrei wurde von der Möwe zurückgegeben, die einen Augenblick lang hoch in die Luft

Weitere Kostenlose Bücher