Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
Ihr volles, dichtes Haar war auf ihrem Kopf hoch aufgetürmt und zu Schnecken geflochten, die durch vier Nadeln aus Elfenbein gehalten wurden. Ihre Haut war zart und cremefarben; ihre schweren Brüste üppig unter den weichen Falten ihrer langen Tunika. Er spürte, wie sein Körper sich straffte. Die Hände eines anderen Mannes hatten diese Brüste berührt; die Lippen eines anderen Mannes. Es war seltsam. Die Hitze seiner Wut und seiner bitteren Eifersucht war völlig von der Eisschicht umschlossen, die sich in seinem Innern gebildet hatte. Umschlossen und kontrolliert, aber nicht ausgelöscht.
Wäre alles anders gekommen, wenn er nach Rom zurückgekehrt wäre, in das Haus seines Vaters? War er ein Narr gewesen, als er das Landgeschenk in der ersten Colonia in Claudius‘ Provinz Britannien angenommen hatte? In der Colonia Claudia Victricensis, die früher Camelodunum geheißen hatte. Er kaute nachdenklich eine getrocknete Feige. Das Land hatte ihm Reichtum, Ansehen und Ehre gebracht œ der ideale Abschluß für eine exemplarische Soldatenkarriere. Aber seine junge Frau war bestürzt gewesen. Sie hatte nach Rom zurückkehren wollen. Sie und ihre Schwester haßten Britannien. Einer der Gründe, weshalb sie unbedingt zurück wollte, war ein Mann gewesen. Sie dachte, daß er nichts davon wußte, aber dieser Mann war der Grund gewesen, weshalb Marcus dieses abgelegene Kommando überhaupt angenommen hatte. Er lächelte grimmig.
Erst vor ein paar Monaten hatte sie ihre Meinung über Britannien geändert, und sofort hatte er Verdacht geschöpft.
Claudia spürte, wie sein Blick auf ihr ruhte, und sah zu ihm hoch. Ihr Lächeln war leer. Kalt. Heuchelei. Er gab es zurück und sah Zweifel in ihren wunderschönen grauen Augen. Doch nur einen Moment lang. Sie glaubte, sie sei sicher. Sie glaubte, sie sei schlau. Sollte sie es nur glauben. Er würde warten, bis die Zeit reif war. Es mußte der richtige Augenblick sein. Nur ihr Liebhaber würde den wahren Grund für seinen Tod kennen, denn Marcus konnte sich einen Skandal nicht leisten. Persönliches Leid und persönlicher Zorn mußten unterdrückt werden, zum Wähle aller. Jede Flamme, die das Feuer der Revolte entzünden konnte, mußte ohne Aufsehen gelöscht werden. Es durfte keine Explosion des Hasses zwischen den Eingeborenenstämmen und Rom geben.
Dennoch, er würde sich…er atmete tief durch, bezähmte seinen Zorn mit eisernem Willen…er würde sich schon noch, wenn auch im geheimen, an ihm rächen.
Die anschließende Bestrafung seiner Frau aber würde ein Leben lang währen, bis in alle Ewigkeit.
Kate war einen Augenblick lang versucht gewesen, eine Thermoskanne mit Kaffee zu machen und sie zu Alison zu bringen, um zu sehen, wie es voranging. Doch sie überlegte es sich anders. Sie hatte sich bereits den Morgen freigenommen. Den Nachmittag, oder was davon übrig war, wollte sie mit ernsthafter Arbeit verbringen. Außerdem würde Alison, die ihre Grabungen für sich behalten wollte, sie als Störenfried nicht gerade willkommen heißen. Sie konnte später ja immer noch ein bißchen frische Luft schnappen gehen.
Sie hatte ungefähr eine halbe Stunde lang gearbeitet, als das Telefon sie in die Gegenwart zurückholte. Sie nahm ihre Brille ab, ging in die Küche und meldete sich.
»Kate. Hallo.«
»Jon?« Es war, sagte sie streng zu sich, nichts weiter als ein Pawlowscher Reflex, daß sich ihre Stimmung sofort besserte, eine Konditionierung, weil sie mit ihm gelebt und ihn geliebt hatte. »Woher hast du meine Nummer?«
»Von Bill.« Einen Moment lang klang er abwehrend, dann sagte er beschwichtigend: »Ich hoffe, das ist dir recht.«
Sie lächelte. »Ja, ist mir recht. Natürlich. Wie läuft die Tour?«
»Ganz gut. Ist fast vorbei, Gott sei‘s gedankt!« Er klang müde und bedrückt. »Und wie geht‘s dir?«
»Gut. Ich komme gut voran.«
»Ist das Cottage schön?«
Fragte er aus Höflichkeit, oder interessierte er sich wirklich dafür? »Ja, das ist es wirklich. Wunderschön.«
»Bill sagt, es liegt sehr abgelegen.«
»Stimmt. Man kann gut arbeiten hier.« Sie hatte einen Kloß im Hals. Plötzlich fehlte er ihr so sehr, daß es wehtat.
»Gut. Das Geld, das ich dir schulde, ist bald unterwegs, Kate. Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat. Morgen fliege ich nach Boston. Vielleicht versuche ich, dich von da aus noch mal anzurufen.« Er wollte ihr so viel sagen, ihr so viel erzählen, doch er konnte nicht. Aus irgendeinem Grund brachte er keinen Ton
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