Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
Vom Netzwerk:
heraus. Er liebte sie, und er hatte es vermasselt. »Paß auf dich auf.«
    Das war alles. Er hatte aufgelegt. Sie starrte den Hörer in ihrer Hand an und fühlte sich plötzlich sehr, sehr einsam.
    Sie war zu durcheinander, um weiterzuarbeiten. Sie kämpfte ein paar Minuten mit sich, dann stand sie auf, warf die Brille auf den Tisch und griff nach ihrer Jacke.
    Der Strand war menschenleer. Bei einbrechender Dämmerung warf die schon reichlich angeschlagene Sonne von der Seite ihre letzten Strahlen, während sie im Dunst hinter der Mündung unterging. Die Strandläufer waren unten am Wasser damit beschäftigt, mit ihren Schnäbeln im Sand herumzustochern. Weit draußen auf dem Meer schwebte der Nebel am Horizont und wartete auf die Dunkelheit. Von Alison keine Spur.
    Kate stand lange Zeit am Rand der Ausgrabung und schaute angestrengt hinunter. Das Gemenge aus aufgewühltem Sand und Schlamm, der verknäulte Tang, die Muscheln, alles zeugte vom Eindringen des Meeres in das, was das Mädchen für ein römisches Grab hielt. Es gab keine Spur mehr davon, wie sorgfältig sie den Sand umgegraben und durchkämmt hatte. An die Stelle der vertikalen Linien, die sie mit ihrem Spaten ausgestochen hatte, war eine horizontale Schicht getreten. Der Sand war jetzt durchsetzt mit langen Streifen aus hellem Lehm und breiteren schwarzen Keilen, den Überresten des 3000 Jahre alten Torfmoors, das hier das Flußtal bedeckt hatte, als das Meer noch drei Kilometer entfernt gewesen war. Kate fröstelte, als sie auf das Durcheinander da unten blickte. Sie konnte die Tonscherben sehen, die zurückgelassen in der Grube lagen. Aus irgendeinem Grund hatte Alison sie nicht für wert befunden, sie mit nach Hause zu nehmen. Und auch das Metallstück hatte sie nicht mitgenommen, das auf einem ausgerissenen Grasbüschel lag.
    Rutschend und schlitternd kletterte Kate selbst in die Mulde und hob es auf. Es war ein Dolch.
    Sie drehte ihn in den Händen hin und her und betrachtete nachdenklich die stark korrodierte Klinge. Sie fühlte sich eiskalt an.
    Marcus.
    Es war ein Flüstern in ihrem Ohr. Ein Seufzer im Wind. Es war Einbildung. Hinter ihr, über dem Wald, tauchten, als der Himmel dunkel wurde, die Sterne auf.
    Sie kletterte aus der Senke und ging schnell zurück in Richtung Cottage. Den Dolch hielt sie in der Hand, mit der Spitze zum Boden gerichtet, als wäre er noch scharf. Was er auch war.
    Im Häuschen angekommen, schlug sie die Tür vor der rasch hereinbrechenden Dunkelheit zu, verschloß und verriegelte sie. Den Dolch legte sie auf den Küchentisch. Dann griff sie zum Telefonhörer.
    In der Redall-Farm nahm niemand ab. Sie ließ es mehrere Minuten lang läuten und legte dann erst den Hörer auf. Wenn Alison nicht auf der Farm war, wo war sie dann? Nachdenklich ging sie ms Wohnzimmer und schaltete die Tischlampe an. Sie war gerade dabei, die Vorhänge zuzuziehen, als ihr Blick auf den Ofen fiel. Er war ausgegangen! Und es waren keine Scheite mehr im Karton.
    »Verdammt!« Sie wollte nicht mehr hinausgehen, nicht einmal bis zur Hütte. Sie wollte auch die Haustür nicht mehr aufmachen. Plötzlich zitterte sie und bemerkte zu ihrem Erstaunen, daß sie den Tränen nahe war.
    Idiotin. Dummes Weibsstück. So sehr vermißt du Jon also. Vor deinem eigenen Schatten fürchtest du dich! Los, Kennedy, wo ist dein Mumm geblieben? Was würde deine Schwester Anne von dir denken, wenn sie dich jetzt sehen könnte? Entschlossen zog sie die Jacke wieder an. In der Dämmerung konnte sie gerade noch die am nächsten stehenden Bäume mit ihren vor Feuchtigkeit glänzenden Stämmen sehen, als sie entschieden zur Hütte ging, den leeren Karton unterm Arm.
    Alisons Werkzeug lag kreuz und quer im Eingang, als habe sie es in großer Eile dort hingeworfen. Kate suchte in der Tasche nach ihrer neuen Lampe und leuchtete in das Dunkel der Hütte. Der Strahl fiel auf die Kelle, die gleich hinter der Tür auf dem Boden lag. Sie biß sich auf die Lippe. Was hatte das Mädchen dazu veranlaßt, so schnell zu verschwinden, daß sie ihren bisher vermutlich besten Fund im Grab liegengelassen und ihre Ausrüstung, die von ihr zuvor immer so ordentlich aufgestellt worden war, nun planlos hingeworfen hatte?
    Es war besser, nicht darüber nachzudenken. Wahrscheinlich war ihr ganz einfach langweilig geworden. Kate räumte schnell das Werkzeug auf, dann füllte sie den Karton mit Scheiten und Brennmaterial. Jetzt, wo der Karton so schwer war, hatte sie keine Hand mehr für die

Weitere Kostenlose Bücher