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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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schimmerte grünlichschwarz, als sie ihn herausnahm und im hellen Küchenlicht erneut untersuchte. Sie schüttelte die Flasche mit der Politur, schmierte vorsichtig etwas von der Mixtur auf das Metall und begann, es behutsam mit der Ecke eines Staubtuchs zu reiben. Nach zehn Minuten gab sie auf. Ihr immer energischeres Reiben hatte nicht die geringste Wirkung gehabt. Enttäuscht legte sie Metall und Staubtuch auf die Ablage, als das Telefon läutete.
    »Hallo, Kate.« Jons Stimme klang so laut und klar, als sei er im nächsten Zimmer. »Ich bin in Boston. Was macht Lord George?«
    »Kann nicht klagen.« Sie merkte, daß sie lächelte. »Und deine Tour?«
    »Läuft gut. Ein bißchen ermüdend. Fast vorbei, Gott sei Dank. Bevor es wieder losgeht, stärke ich mich hier im Hotel noch schnell mit Englischem Tee und Muff ins. Was treibst du so?«
    »Ich reinige gerade einen uralten britischen Halsreif mit hochmoderner britischer Silberpolitur, allerdings ohne jeden Erfolg.« Gegen die Ablage gelehnt, den Hörer bequem ans Ohr geklemmt, drehte sie sich um und musterte ihr Werk.
    »Klingt gut.« Die Antwort von jenseits des Atlantik klang gedämpft. »Darf ich fragen, woher du einen uralten britischen Halsreif hast?«
    »Er lag am Strand.«
    »Aha.« Sie spürte, daß er ihr nicht glaubte. »Aber es steckt nicht auch noch ein uralter Brite drin, nehme ich an?«
    »Momentan nicht, nein.« Sie lächelte leicht vor sich hin. »Es würde dir hier gefallen, Jon.« Sie streckte vorsichtig die Fühler aus; es war ein Friedensangebot.
    »Tolle Feste, was?« Die Ironie in seiner Stimme erinnerte sie daran, daß sie eigentlich keine Freunde mehr sein wollten. Oder Liebende. Warum hatte er sie also wieder angerufen?
    Sie wußte es, ohne zu fragen.
    »Es gibt hier keinen, mit dem ich Feste feiern könnte. Höchstens die Vögel. Und draußen in der Bucht gibt es, glaube ich, noch Seehunde.«
    »Und hin und wieder einen alten Briten.«
    »Genau.« Sie ahmte etwas nach, von dem sie annahm, daß es amerikanische Unbekümmertheit ausdrückte. »In Wirklichkeit ist der Geist ein Römer.«
    Einen Moment lang herrschte Stille.
    »Das klang jetzt fast ernst«, sagte Jon vorsichtig.
    »Wirklich?« Sie erinnerte sich daran, wie schnell er Nuancen heraushörte; seine außergewöhnliche Sensibilität gehörte zu den Dingen, die sie an ihm liebte œ geliebt hatte, korrigierte sie sich heftig. Das hatte es noch schwerer gemacht, sein Verhalten während der letzten Wochen zu ertragen.
    Sie lachte leise. »Quatsch. War bloß ein Witz.«
    »Verstehe.« Er war noch immer besorgt. »Geht es dir gut?«
    »Ja.«
    »Okay. Na, dann hab noch viel Spaß, Kleines. In ein oder zwei Tagen rufe ich wieder an.«
    Erneut hatte er ihr nicht genug Zeit gelassen, um auf Wiedersehen zu sagen. Die Verbindung brach ab, und wieder blieb ihr nur, den Hörer anzustarren. Sie legte ihn zögernd auf die Gabel, ging langsam zurück zum Tisch und nahm das Staubtuch in die Hand.
    Sie war überhaupt nicht auf den kalten, nach nasser Erde riechenden Windstoß hinter sich gefaßt. Sie wirbelte herum. Die Haustür mußte aufgeweht worden sein, obwohl sie sie doch sorgfältig verschlossen und verriegelt hatte. Sie spähte hinaus in die Diele. Die Tür war verschlossen, die Diele dunkel und menschenleer.
    Komm schon, Kennedy. Entweder ist ein Fenster aufgegangen, oder der Wind hat von oben in den Kamin geblasen. Sie bemerkte, daß sie das zu sich selbst flüsterte, als sie in das warme schwach beleuchtete Wohnzimmer sah. Aus dem Ofen drang noch ein leichtes Glühen, und der Karton mit den Scheiten war leer. Das Zimmer kühlte ab, aber der erdige Geruch kam nicht von dort. Er kam von oben.
    Ihr Schlafzimmerfenster mußte offen sein. Sie überlegte. Vorhin hatte sie es geöffnet, um hinaus aufs Meer zu schauen um zu sehen, wie der Nebel über das stille, graue Wasser trieb während von Osten die Nacht hereinbrach. Offensichtlich hatte sie es nicht richtig verriegelt. Mit der Hand am Geländer ging sie langsam die Treppe hoch.
    Oben standen beide Türen offen. Beide Zimmer waren dunkel. Sie schaltete das Licht an. Das Fenster in ihrem Schlafzimmer war geschlossen œ im Grunde ihres Herzens hatte sie das gewußt œ und die Vorhänge waren dicht zugezogen. Sie schnupperte. Es mußte eine feuchte Stelle im Haus geben, die der Regen irgendwie aktiviert hatte. Sie ging geduckt aus dem Zimmer und spähte in das andere. Der Geruch war dort stärker, und die Luft war kalt. Bitterkalt. Das Fenster

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