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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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sie trocken. »Wenn weiter nichts ist, würde ich jetzt gern weiterarbeiten, und ich nehme an, Sie müssen sich wieder irgendwo auf einem Polizeirevier melden.«
    Sie schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln und wurde mit einem finsteren Blick belohnt.
    »Nein. Da muß ich Sie leider enttäuschen, sie haben mich noch nicht verhaftet. Und auch keinen von meinen Freunden.«
    »Ich bin sicher, das ist nur eine Frage der Zeit.« Sie ging an ihm vorbei zur Haustür.
    Der Wind hatte sich leicht gedreht, und als sie die Tür öffnete, fegte Regen in die Diele, eisig, hart, grausam. Sie trat einen Schritt zurück, und er ging hinaus, ohne sich noch einmal umzusehen. Bis er in den Land Rover geklettert war, hatte sie schon die Tür geschlossen und war zurück in die Küche gegangen.
    Sie war nachdenklich geworden. Ihre Intuition sagte ihr, daß er sie nicht belog, daß er nichts mit dem Einbruch zu tun hatte. Aber das Bild? Was hatte das Bild der Frau zu bedeuten?
    Sie wartete, bis er außer Sichtweite war, dann zog sie ihren Anorak an und band sich den Schal um. Eigentlich hatte sie keine Lust mehr, aber sie beschloß, trotzdem aus dem Haus zu gehen, um ihren Kopf auszulüften, um das schreckliche Hämmern hinter ihren Schläfen loszuwerden und um sich wieder auf ihr Buch zu konzentrieren und Ordnung in ihre Gedanken zum nächsten Kapitel zu bringen. Irgendwie mußte sie die Bilder der letzten Tage loswerden. Das Cottage hatte aufgehört, ein unpersönlicher Ort zu sein, an dem sie ungestört denken und arbeiten konnte. Es war jetzt mit Menschen verknüpft: mit Greg und Alison; mit Roger und Diana œ und, Gott helfe ihr, mit Marcus und der Dame im blauen Gewand.
    Das nasse Gras klebte über den Stiefeln an ihren Beinen und durchnäßte ihre Hose. Dann aber hatte sie endlich die kurzgefressene Grasfläche erreicht, und etwas später ging sie bereits auf Sand. Es war Ebbe, doch die wütenden Wellen mit ihren weißen Schaumkronen peitschten noch immer gegen den Strand, saugten am angeschwemmten Tang, füllten die Luft mit dem durchdringenden, kalten Geruch weit entfernten Eises.
    Kate wandte der Ausgrabungsstelle beharrlich den Rücken zu und kämpfte, die Hände tief in den Taschen vergraben, gegen den Wind an. Die Kälte war so durchdringend, daß ihr Gesicht schmerzte und das Atmen wehtat. Sie preßte die Lippen fest zusammen und ging mit gebücktem Kopf entschlossen weiter. Sie hatte keine Augen für die Schönheit des Meeres hinter dem Strand, wo die perlmuttfarbene Luft kristallklar war und die wogenden Wassermassen den Glanz polierten Zinns hatten. Irgendwo in der Nähe schrie eine Möwe. Kate blickte nach oben und sah, wie sie mühelos, vom Wind getragen, ihre Kreise zog, Teil der furchterregenden Kraft um sie herum.
    Der Wälder wildes Rauschen, Des Meeres öder Strand, Wo man, dem Licht zu lauschen, Nur seinesgleichen fand…
    Es war elementar; großartig. Wie immer, hatte Byron die richtigen Worte gefunden, um die Wucht der Szene zu vermitteln. Wenn es ihr nur gelingen würde, seine Bilder auch in ihr Buch zu übertragen…
    Der Wind wirbelte den Sand, den der Schneeregen gelöst hatte, um ihre Füße. Vor sich konnte sie den Körper einer anderen Möwe sehen, einer Möwe, die den Kampf mit den Elementen verloren hatte und jetzt naß und verdreckt auf den Kieseln lag, ein Wirrwarr aus Tang neben sich. Erst als sie ganz nah war und traurig auf den Körper hinunterschaute, den sie mit der wilden Schönheit des Artgenossen über ihrem Kopf verglich, sah sie die grausame Angelschnur aus Nylon, die sich um die Beine des Tieres gewickelt hatte. Überwältigt von Wut über die gedankenlose, gleichgültige Arroganz der Menschen bückte sie sich, um die gesprenkelten, graubraunen Federn zu berühren. Es war nicht einmal ein ausgewachsener Vogel. Es mußte sein erster Winter gewesen sein, sein erstes freudiges Gerangel mit den Elementen. Der Körper des Vogels war kalt und hart, die Federn wie Gräten gegen den Körper gepreßt. Fröstelnd richtete sie sich auf und ging weiter.
    Sie ging nicht sehr lange. Der trübe Nebel am Horizont kam näher; der Wind wurde noch stärker. Über den Wellen konnte sie einen leichten Schatten erkennen, den ein Hagelsturm warf, welcher die Küste hinunterfegte, auf die Redall-Bucht zu. Sie drehte sich um und ging mit schnellen Schritten zurück. Das Gehen fiel ihr jetzt leichter, da sie den Wind im Rücken hatte.
    Sie hatte eigentlich nicht vorgehabt, zum Grab zu gehen, aber irgendwie konnte sie

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