Erst der Sex, dann das Vergnügen: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
merkte. Wieder kam mir Friedrich zur Hilfe.
»Das tut mir sehr leid, hat Ihnen Frau Hanssen nicht gesagt, dass ich die Buchungen für sie übernommen habe? Ich biete nämlich nicht nur Web-, sondern auch Buchhaltungsservice an und habe ihr ein Komplettangebot gemacht. Wir wollten erst einmal auf Probe zusammenarbeiten, wahrscheinlich ist es deshalb untergegangen, Sie rechtzeitig zu informieren, nicht wahr, Heidi?«
Marie hatte sich gänzlich verdünnisiert, aber Charlotte hatte sich wieder in den Laden geschlichen und verfolgte mucksmäuschenstill unsere Diskussion. Mein Vater hatte in der Zwischenzeit Friedrich als weiteren territorialen Aggressor identifiziert und blaffte ihn an: »Sie haben Nerven, junger Mann! Sind Sie überhaupt qualifiziert?«
»Nun, Herr Hanssen, ich verstehe Ihre Bedenken absolut, haben Sie doch bei der Betreuung der Wunderland-Finanzen bisher Umsicht und Sorge bewiesen!« Friedrich hatte meinen Vater am Ellbogen gefasst und dirigierte ihn kaum merklich in die Stillecke zu den zwei Sesseln. Mit seinem Pferdeschwanz und dem Blaumann sah er in der Tat nicht gerade aus wie ein Steuerberater und Webdesigner.
»Und wenn Sie meine Qualifikation an meinem Studium messen wollen, muss ich Ihnen sagen – nein, ich bin nicht qualifiziert. Ich bin nämlich Diplomingenieur und Architekt. Und wie Sie sehen, komme ich gerade von unserer Baustelle am Gendarmenmarkt. Aber ich arbeite auch als Businesstrainer für Existenzgründer und habe außerdem in der Entwicklungshilfe Aufbauarbeit geleistet. Und wenn man zehn Jahre lang mit ›Arche Johann‹ jungen Firmen geholfen hat, aus dem Nichts zu entstehen, wird man Experte für alles.«
Ein Wunder. Mein Vater wirkte auf einmal wieder einigermaßen friedlich.
»›Arche Johann‹? Ist das nicht eine Hamburger Organisation?«
»Ja, wie schön, dass Sie schon davon gehört haben, ich fahre immer noch regelmäßig zu deren Treffen, die alle sechs Monate in Ostfriesland stattfinden.«
»Wo in Ostfriesland? Sie müssen wissen, ich, äh, ich komme auch aus Ostfriesland.«
Mein Vater hatte sich ohne Gegenwehr von Friedrich in den weiß gepolsterten Sessel drücken lassen, und Friedrich hatte ihm gegenüber Patz genommen.
»Das ist ja sagenhaft, dann kennen Sie sicher auch die Hornbrocks? Die waren einer der Hauptsponsoren des letzten Solarprojekts in der Sahelzone, das ich mit betreut habe.«
Mein Vater beugte sich interessiert vor.
»Das sagt mir eine ganze Menge, in der Tat, Hoch- und Tiefbau Hornbrock, nicht wahr? Die Hornbrocks sind gut mit meinen Eltern befreundet gewesen …«
Friedrich wedelte mit der linken Hand hinter seinem Rücken herum, um mich zum unauffälligen Rückzug aufzufordern, und Charlotte und ich schlichen leise die Tür zum Lager hinaus. Charlotte starrte auf die Wand, als könnte sie durch die Ziegelsteine hindurch weiter Friedrich beobachten, wie er meinen Vater um den Finger wickelte.
»Architekt? Friedrich ist Architekt?«
»Ja, wusstest du das gar nicht?«, sagte ich lapidar, als wäre das selbstverständlich. Maries Ex war in der Tat ein Allroundtalent und hatte soeben ziemliche Geistesgegenwart bewiesen.
»Diese Handwerkerjobs macht er nur, weil er gerade nicht ins Ausland muss und hier in keinem Planungsbüro mehr arbeitet.«
Oder mir aus der Patsche hilft, vollendete ich den Satz in Gedanken. Ich hatte noch das Bild im Kopf, wie Friedrich und mein Vater die Köpfe zusammensteckten, als wäre Friedrich ein alter Bekannter. Oder sein Schwiegersohn. Aber diesen Gedanken, den verscheuchte ich mal ganz schnell wieder.
Ein leises Klopfen. Friedrich hatte uns gefunden und fragte besorgt: »Heidi, wie geht es dir? Solche Überraschungsbesuche sind eigentlich nicht gut für dich! Dein Papa jedenfalls ist weg. Ich habe ihm gesagt, er soll sich keine Sorgen machen, du wolltest ihn einfach nicht beunruhigen. Aber du hattest dir irgendetwas eingefangen, Schweinegrippe oder etwas ähnlich Ansteckendes, durftest keinen Kontakt mit deinen Kunden und deren Kindern haben und musstest dir sofort hier in Berlin Hilfe suchen. Und hast ihn deshalb nicht involviert. Ich habe ihm versprochen, ihm die Auszüge aus den Büchern selbstverständlich zukommen zu lassen.«
Friedrich sah meinen erschrockenen Blick.
»Das habe ich ihm selbstverständlich nur angeboten, um Zeit zu gewinnen. Aber du wirst dich wundern − er will sie auch gar nicht haben, er sagte: ›Ich habe genug gesehen‹, was auch immer er damit meinte. Er wünscht dir gute
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