Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)
hält Thomas Mann für einen pompösen Kitschautor, und muss lachen, wenn man ihn nach Saul Bellow oder William Faulkner fragt. Aber anstatt das Buch empört zuzuschlagen, lohnt es sich, genau hinzusehen. Schriftsteller haben eben strong opinions (so der englische Originaltitel), aber wenn sie ohne Scheu und Kompromisse über ihre Vorurteile reden, lässt sich aus eben diesen eine Menge über das Handwerk des Schreibens lernen.
Ein Hauptthema Nabokovs ist die »idée reçue«, der »Gemeinplatz«. Nabokov verwendet in diesem Zusammenhang gerne den russischen Ausdruck »poschlust«, der mit »Kitsch« oder auch »Vulgarität« nur unzureichend übersetzt wäre: »Wollen wir nun die poschlust der Gegenwartsliteratur dingfest machen, müssen wir unser Augenmerk auf Freudsche Symbolik, mottenzerfressene Mythologie, gesellschaftskritisches Gedöns, humanistische Heilsbotschaften, politische Parabeln, das exzessive Herumharfen auf dem Thema Klasse oder Rasse und die allbekannten journalistischen Verblasenheiten richten. Die poschlust artikuliert sich in Meinungsäußerungen wie ›Amerika ist auch nicht besser als Rußland‹ oder ›Wir haben alle teil an der deutschen Schuld‹. Die Blumen der poschlust blühen in Worten und Wendungen wie ›der Augenblick der Wahrheit‹, ›Charisma‹, ›existentiell‹ (in unironischer Verwendung), ›Dialog‹ (wenn auf politische Verhandlungen zwischen Staaten gemünzt) und ›Wortschatz‹ (wenn im Zusammenhang mit einem Farbenkleckser gebraucht).« Man muß etwa Nabokovs ablehnender Einschätzung von Dostojewski nicht folgen, aber wenn er erkärt, wie Dostojewski unverhohlen technische Mittel der Trivialliteratur einsetzt, so lässt sich eben dadurch viel über eben diese Techniken lernen; wenn Nabokov George Orwell als einen Autor politischer Comic-Strips verspottet, so wird er Orwells Leistung als polemischer Essayist nicht gerecht, aber selten hat man so scharfe und instruktive Beobachtungen über die Unvereinbarkeit von erzählender Prosa und politischem Statement gelesen.
Nabokovs Anliegen ist, auch wenn er das nie so formuliert, die Authentizität der sprachlichen Wendung; letztlich also die Klarheit von Gefühl und Gedanken. »Der Begriff ›Symbol‹ war mir schon immer zuwider, und gerne erzähle ich, wie ich einmal einen – leider von einem früheren Lehrer genasführten – Studenten durchfallen ließ, der geschrieben hatte, die Blätter bei Jane Austen seien ›grün‹, weil Fanny voller Hoffnung sei und ›Grün‹ die Farbe der Hoffnung ist. Die Symbolikmaschine in den Schulen ist attraktiv für computerisierte Hirne, aber sie zerstört die natürliche Intelligenz und den Sinn für Poesie. Sie bleicht die Seele aus. Sie betäubt die Fähigkeit, sich von der Kunst erheitern und verzaubern zu lassen.« Sein Ton ist deshalb oft so scharf, weil er eben diese Erheiterung und Bezauberung der Kunst bedroht sieht: von falschen Lesarten, von beschränkten Lehrern und Kritikern und von Schriftstellern, denen er vorwirft, Klischees zu verfallen. »Poschlust« bestünde für Nabokov eben auch darin, Künstler zu loben, die man für zweitklassig hält, einfach weil sie Teil des offiziellen Kanons sind, ebenso auch die unnötige Herabsetzung der eigenen Meinung von sich selbst: » Wo ist Ihr Standort in der Welt der Literatur? – Fabelhafte Aussicht von hier oben.«
Dieses Buch enthält so viele Hinweise, wie der Beruf des Schreibens zum Gelingen zu führen ist, dass man gar nicht weiß, wo anfangen mit dem Zitieren. Da ist natürlich immer wieder von der täglichen Arbeitsroutine die Rede, und die alte Frage, zu welchen Tageszeiten man schreibe und welche Geräte man verwende (aus irgendeinem Grund halten Interviewer die seit jeher für besonders interessant), findet ausführliche Antwort. Vor allem aber ist Deutliche Worte das Dokument für ein Leben, in dessen Zentrum immer und in jedem Moment die Literatur stand: die beständige Schwerarbeit der Suche nach dem richtigen Ausdruck, die Mühe und Freude der Formung und schließlich die selbstbewusste Zufriedenheit dessen, der wusste, wieviel ihm gelungen war.
Aufgabe
Machen Sie eine Liste: Welche berühmten Schriftsteller mögen Sie, welche nicht? Dann denken Sie darüber nach: Wie viele unter denen, die Sie zu mögen glauben, mögen Sie nur, weil man es Ihnen vorgeschrieben hat, weil sie Teil des Kanons sind und man sie schätzen soll? Umgekehrt: Gibt es Autoren, von denen Sie glauben, daß Sie sie ablehnen sollen, die
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