Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)
eines Empfangs 1968 in Frankfurt beleidigt, nachdem dieser »blödsinnige Tischreden« gehalten habe. Daraufhin sei er, Drach, jahrelang gezielt von der Kritik totgeschwiegen worden. Tatsächlich sah Marcel Reich-Ranicki noch in der Verleihung des Büchner-Preises 1988 an Drach ein »Unglück« und eine »offensichtliche Interessenverquickung«, die unmöglich zu billigen sei. Umgekehrt hatte Drach schon in seiner Unsentimentalen Reise gewusst: »Wenn man ein Schuster wird, muss man sein Handwerk können. Wird man ein Schneider, braucht man seine Lehrzeit ebenso, desgleichen der Baumeister, der Advokat, der Arzt, sogar der Richter. Nur der Kritiker und der Politiker müssen nichts gelernt haben, nichts wissen, nichts können. Sie fallen vom Himmel und zersitzen mit ihren dummen Hintern die Werte der Welt.« Es mag sein, dass Drachs Unversöhnlichkeit mit der Welt nicht ganz unschuldig an seinem lebenslangen literarischen Misserfolg war.
Als er am 27. März 1995 starb, schien er von der literarischen Gemeinde beinahe vergessen. Die beging gerade mit großem Pomp Ernst Jüngers hundertsten Geburtstag.
III.
Ich bewundere, wie Albert Drach »den Zumutungen gegenübertrat, die an ihn herangetragen wurden«. Es lag ihm überhaupt nicht, sich als Opfer zu begreifen, auch wo er de facto zu einem gemacht wurde. Er versuchte, unabhängig von den Größenverhältnissen, jedem die Stirn zu bieten, der sich mit ihm anlegte, und das ist, wenn es, wie bei Drach, im Namen der Menschenwürde geschieht, eine Haltung, die man nicht hoch genug schätzen kann.
Die Arbeit an seinem literarischen Werk trieb er ein Leben lang voran, unbeeindruckt vom Auf und Ab des öffentlichen Interesses. Dass er sich auf diese Weise jedoch nicht gerade zu einem besonders umgänglichen Zeitgenossen entwickelt hatte, durfte ich noch selbst feststellen.
Bei den Vorbereitungen zu einem Vortrag über ihn, den ich im Herbst 1993 auszuarbeiten hatte, stieß ich auf seinen Titel In Sachen de Sade , der in den frühen Siebzigerjahren erschienen und längst nicht mehr lieferbar war. Dies sollte mir ein genügender Anlass sein, mich an den Meister selbst zu wenden, nachdem ich von einem Freund wusste, dass man bei Drach im Postwege seine Bücher bestellen könne gegen Bezahlung per Scheck oder Nachnahme – allein sei es schwierig bei der Aufgabe der Bestellung den richtigen Ton zu treffen. Also verfasste ich einen langen Brief, in dem ich mich zur Einführung als ein ihm zu Füßen liegender Adorant vorstellte, um im Mittelteil einige Fragen, meinen Vortrag betreffend an ihn zu richten und mit der Bestellung von In Sachen de Sade – zugegebenermaßen etwas prosaisch – zu enden. Retour kam handschriftlich adressiert, in weißes Packpapier eingeschlagen, das bestellte Buch ohne Anschreiben, ohne Rechnung, ohne Gruß oder sonstigen Kommentar. Nicht geübt darin, Korrespondenz mit 90jährigen Büchner-Preisträgern zu führen, rätselte ich, was dieser Sendung über ihren gegenständlichen Inhalt hinaus zu entnehmen sei. Offenkundig wollte Drach kein Geld – oder hatte er schlicht die Rechnung vergessen? Wenn er mir das Buch schenken wollte, warum schrieb er aber dann keine Zeile, zumal ich ihm doch einige Fragen gestellt hatte? Bestimmt, dachte ich, war mein Brief an ihn eine solche Zumutung gewesen, dass mir die unkommentierte Zusendung von In Sachen de Sade nun eben bedeuten sollte: »Nimm um Himmelswillen das Buch, meinetwegen auch ohne zu bezahlen und verschwinde!« Auch, wie nun weiter zu verfahren sei, wusste ich nicht recht, denn ein neuerlicher Brief zur Danksagung konnte von Drach nur als ungehörige Zudringlichkeit empfunden werden. Ich entschloss mich also, vorerst nichts zu tun, blieb aber unsicher, ob dies richtig sei und hatte ein schlechtes Gewissen. Einige Wochen später erreichte mich ein Brief Drachs. In höchster Erwartung trug ich ihn in die Wohnung und erschrak, als ich folgenden Zweizeiler fand: »Betrifft: In Sachen de Sade. Das Einlangen meiner Sendung wurde mir bis heute nicht bestätigt. Hochachtungsvoll (Unterschrift)«. Seine Schreibmaschine hatte überall dort, wo ein Punkt sein sollte, ein Loch ins Papier gestanzt – so heftig war der Anschlag. Mit einem Satz hatte mir Drach die ganze Schwere meiner Verfehlung klar gemacht. Ich begab mich also an den Computer, den nächsten demütigen Brief zu verfassen. Diesmal wandte ich mich entsprechend der handschriftlichen Ergänzung seines Stempels auf dem Briefkopf nicht an »Herrn Dr.
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