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Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Titel: Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kutzmutz
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nicht den Mann und sein Weib. Es war etwas an der neuen Gattung, das tierisch blieb und nur durch den Menschen und Mann und dessen Geselligkeit aus dem Tierischen erhoben werden konnte. Sie war auch bloß, wenn auch sinnbildlich, aus seiner Rippe gebildet, also nur ein Stück von einem Menschen. Sie hieß auch gegenüber dem Manne in den romanischen Sprachen das Weib, er aber der Mensch. Dass sie in diesen Breitengraden auch menschlich sein sollte, wird durch das sachliche Geschlecht nicht bestätigt. Sie bleibt höchstens das Mensch, er – der Mensch. Aber ihre Beine waren unbedingt anziehend und sie wusste es auch.«
    Endgültig wächst dem Richter die Sache über den Kopf, als ihm während einer Vernehmung der Stift aus der Hand fällt – »direkt auf den Schoß des Mädchens, das nicht vor, sondern neben dem Schreibtisch saß, und er beeilte sich sofort, das Herabgefallene einzusammeln, bevor es selbst danach griff oder der Stift zu Boden fiel. Das war ein Missgriff, musste er sich wohl sagen, und der Schriftführer hatte es außerdem gesehen, und er sah, wie dieser schmunzelte«. Dieser peinliche Vorfall hört nicht mehr auf, den Richter zu quälen. Und ein mögliches »Ausweichen auf Verletzung der Frauenehre« der Nepalek, der er die Schuld für seine Verwirrung zuschreibt, erscheint ihm jetzt »ganz unglaubwürdig und völlig undenkbar«.
    Die Konfrontation zwischen dem Richter und den Delinquentinnen gerät zu einem Duell zwischen männlichem und weiblichem Prinzip schlechthin. Weil der Justiz die Sprache gehört, verstummen ihre Opfer. Die scheinbare Exaktheit und logische Unerbittlichkeit der Jurisdiktion verschleiert die Absurdität ihrer Ergebnisse.
    Es verwundert, dass der Autor dieser vernichtenden Justizkritik beinahe sechzig Jahre als Rechtsanwalt tätig war. Doch sein früh bemerktes literarisches Talent steht damit paradoxerweise in engem Zusammenhang. Das juristische Studium nahm er auf Empfehlung seines frühen literarischen Förderers, des Dichterjuristen Anton Wildgans auf, damit er wie dieser »als Richter Anlass und Zeit zum Dichten habe«. Drachs Widersetzlichkeit, die seinen Charakter offenbar schon in jungen Jahren prägte, verhinderte jedoch seine Aufnahme in den Richterdienst, da er sich im Rahmen seiner Ausbildung weigerte, Protokolle nach dem Diktat eines Richters aufzusetzen, der als Mitglied der Richtervereinigung für Drachs Ernennung zuständig gewesen wäre.
    Nur notgedrungen wurde Drach also Anwalt, übte diesen Beruf aber aus, bis er im Jahr 1983 einundachtzigjährig beinahe vollständig erblindete. Auf die Frage, ob er es für möglich hielte, gleichzeitig Rechtsanwalt und Schriftsteller zu sein, antwortete er: »Es muss möglich sein, da es bei mir der Fall ist. Ich halte es aber nicht für zweckmäßig. Der Beruf des Advokaten absorbiert zu sehr und ist auch voll von Verantwortungen. Mit Recht hat der größte deutsche Dichter diese Stellung nur ein Jahr lang ausgehalten und sich in der Folge als Minister etabliert. Auch Beaumarchais, Claudel, Perse haben diese Karriere gewählt, weil es bei ihr um Völker statt nur um Einzelschicksale geht.«
    Drachs zeitlebens distanzierte juristische Berufsauffassung steht in scharfem Gegensatz zu seiner dichterischen. Auf die Frage »Warum schreiben Sie?« antwortete er unumwunden: »Weil es die einzige Möglichkeit zur Kontaktaufnahme ist, die ich überhaupt habe.« Umso härter muss ihn die Missachtung getroffen haben, die sein Werk jahrzehntelang erfuhr, denn selbst, als er im Greisenalter endlich verlegt und auch mit einigem Respekt versehen wurde, blieb ihm ein dauerhafter Erfolg versagt. Dabei hatte Drach, wie erwähnt, schon als Sechsjähriger beschlossen, »unsterblich und dazu Dichter« zu werden. 1919, als Siebzehnjähriger, veröffentlichte er einen ersten Gedichtband in Zürich unter dem Titel Kinder der Träume und zehn Jahre später in Berlin das Satansspiel Marquis de Sade . Dieses Stück hatte er H. H. Jahnn geschickt, der es für den Kleist-Preis vorschlug – den dann allerdings Anna Seghers bekam. Damit hatte die literarische Laufbahn Drachs ihr vorläufiges Ende gefunden. Doch auch später, in den Sechzigerjahren, als – seltsam genug – seine Romane im Rahmen einer Gesamtausgabe erstmals gedruckt wurden, bedeutete dies nicht die endgültige Anerkennung des Autors Drach. Er selbst bezichtigte Marcel Reich-Ranicki persönlich für die ungebührliche Resonanz auf sein Werk. Er habe den Literaturkritiker anlässlich

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