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Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Titel: Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kutzmutz
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Sie aber in Wirklichkeit sehr gerne lesen? Warum ist das so?
    Wiederholen Sie diese Übung mindestens einmal in der Woche. Mit der Zeit werden sich einige Dinge klären. Schriftsteller orientieren sich an den Büchern anderer Schriftsteller. Diese Orientierung selbst verlangt nach ständiger Arbeit. Nettigkeit ist eine große Tugend im Leben. Beim Lesen und vor allem beim Schreiben ist sie fehl am Platz.

HANS-ULRICH TREICHEL
    Unendlicher Abschied
    Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands [1977/81]
    Welches ist Ihr Lieblingsschriftsteller? Wer hat Sie besonders beeinflusst? Haben Sie ein literarisches Vorbild? Oder gar so etwas wie einen Lehrmeister? Wohl die meisten Autoren kennen diese Fragen – und die wenigsten lieben sie. Schließlich will man nicht wie andere schreiben, sondern wie man selbst. Will kein Nachahmer und Epigone sein, sondern ein Originalgenie. Was nicht heißt, dass Nachahmung nicht eine wichtige Technik zur Initiation in die literarische Tätigkeit sein kann. Wenn die Befähigung zum literarischen Schreiben nicht angeboren ist, dann lässt sie sich gegebenenfalls durch Nachahmung erwerben. Wobei dann die Fähigkeit zur Nachahmung möglicherweise angeboren ist.
    Auf die Frage nach meinem Lieblingsschriftsteller habe ich niemals eine wirkliche Antwort geben können. Und auch nicht geben wollen. Warum sich auf einen Autor festlegen? Lehrmeister des Schriftstellers ist schließlich die Literatur in ihrer Gesamtheit, auch wenn man diese Gesamtheit nur in Bruchstücken kennt. Solch eine Antwort hat allerdings noch keinen Fragesteller befriedigt. Das Publikum möchte Namen hören, nicht mit Sachverhalten gelangweilt werden. Natürlich kann man auf die Frage nach dem literarischen Vorbild einen Namen immer nennen: Goethe. Wer Goethe sagt, liegt immer richtig. Er liegt so richtig, dass solch eine Antwort die pure Ironie ist. Die auch dann nicht abnimmt, wenn man noch einen zweiten Namen hinzufügt: Schiller. Wer Goethe und Schiller sagt, der zeigt unmissverständlich, dass er auf die Frage nach seinen Vorbildern nicht antworten möchte, was allerdings unhöflich ist. Man kann also mit Goethe und Schiller durchaus unhöflich sein.
    Höflich wäre es hingegen, einen lebenden oder zumindest einen Autor der Nachkriegsliteratur zu nennen. Da bietet sich auf den ersten Blick immer Thomas Bernhard an. Welcher Schriftsteller meiner oder der jüngeren Generation hatte oder hat nicht Thomas Bernhard zum Vorbild? Bernhard liegt als Vorbild so nahe, dass man ihn gar nicht mehr zu nennen bräuchte. Insofern ist es für jeden, der sich zu Bernhard nicht bekennen will, ihn aber dennoch zum Vorbild hat, besser, Bernhard zu nennen, als ihn nicht zu nennen. Wer Bernhard sagt, zeigt, dass er kein Problem damit hat, Bernhard zu sagen. Wer Bernhard nicht sagt, zeigt, dass er eventuell ein Problem damit hat, Bernhard zu sagen.
    Ich habe mal Bernhard gesagt und mal nicht Bernhard gesagt. Früher. In den letzten Jahren ist Bernhard ein wenig aus meinem Blickfeld verschwunden. Dafür sind andere Autoren wieder wichtiger geworden. Autoren, die auch schon vor meiner ersten Bernhardlektüre wichtig waren. Die sozusagen nicht in die Pubertät, sondern in die Kindheit meiner eigenen Schriftstellersozialisation gehören. Welche in meinem Fall wiederum überhaupt erst begann, nachdem ich schon einige Zeit Germanistik studiert hatte. Ich habe mich erst während des Germanistikstudiums genötigt gesehen, schriftstellerisch tätig werden zu wollen.
    Mit ungewissen Aussichten natürlich. Und ich schließe nicht aus, dass – von lebensgeschichtlichen Umständen und psychischen Dispositionen einmal abgesehen – vor allem zwei Autoren auf ihre Weise an dieser ›Nötigung‹ beteiligt waren. Oder, um es positiv zu formulieren, dem eigenen Schreibimpuls mit zur Durchsetzung verholfen haben. Der eine war Wolfgang Koeppen und der andere Peter Weiss. Beide konnte ich nicht meine Vorbilder nennen. Dazu fehlte mir wiederum ein festes und idealisch-gesichertes Bild von ihnen. Ich hatte kein Koeppen-Bild. Ich hatte auch kein Peter-Weiss-Bild. Aber ich erinnere mich, dass mich Koeppens sprachliche Musikalität von Anfang an beeindruckt hat, noch ehe ich recht wusste, um was für eine Art Schriftsteller es sich bei ihm eigentlich handelte.
    Doch fiel Jugend , das erste Buch, das ich von Koeppen las, genau in die Zeit, als ich meinem Schreibwunsch nicht länger widerstehen wollte. Ich war vierundzwanzig, studierte Germanistik und schrieb heimlich

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