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Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Titel: Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kutzmutz
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die Sprache geht.
    Sie misstraut diesem Ich auch, weil ihrer Ansicht nach die Unterscheidung zwischen dem, was war, und dem, was gewesen sein könnte, schon in der eigenen Erinnerung verloren gehe. Unter diesen Umständen ist es eigentlich unmöglich zu schreiben. Deshalb verlangt sie nach diesem Pakt.
    »Nennen Sie mich die Autorin.« Sie entwirft sich in ihren Texten als eine Didion auf der Schnittstelle zwischen Fiktion und Biografischem, häufig als Journalistin, die ihren Stoff recherchiert. Sie macht das Erzählte durchsichtig auf den Vorgang des Erzählens und auf sich selbst. Die Figur der Autorin vermutet, zweifelt an sich selbst, verwirft ihre Notizen. Ihre Texte spielen oft vor dem Hintergrund politisch brisanter Situationen. Dennoch hält sie politisches Schreiben für einen »in vielerlei Hinsicht sinnlosen Akt. Es ist wie Leben.«
    Ihre Romane sind so konstruiert, dass die Trennlinie zwischen Fakt und Fiktion zu verschwimmen scheint. Sie sind Ergebnisse (fiktionaler) Recherchen. Galt Truman Capotes Buch Kaltblütig noch als erster nichtfiktionaler Roman, dreht Didion das Ganze um: ihre Bücher sind Reportagen über Romane. Didion erfindet den Stoff, indem sie ihn mit journalistischem Handwerkszeug zerlegt. Denn für Didion ist die Wirklichkeit nichts anderes als Roman. Narration. Indem sie erzählt, als handele es sich um eine Recherche, führt sie die Wirklichkeit als Erfindung vor.
    Das wird schon deutlich an den vier unterschiedlichen Romananfängen, mit denen Demokratie beginnt. Jeder der Anfänge führt eine der Figuren ein, reflektiert den Schreibprozess, wird verworfen und dennoch als Verworfenes stehengelassen. Jede Figur ist eine Möglichkeit, aber nie die endgültige. So entsteht während des Lesens die Illusion, immer noch am Anfang zu sein, während man doch bereits tief in der Handlung steckt. Im dritten der möglichen Anfänge werden verschiedene Zeitformen und Erzählhaltungen durchgespielt:
    »›Stell dir meine Mutter beim Tanzen vor‹, begann dieser Roman in der ersten Person. Die erste Person war Inez und wurde später zugunsten der dritten aufgegeben:
    ›Inez stellte sich ihre Mutter beim Tanzen vor.‹
    ›Inez erinnerte sich an ihre Mutter beim Tanzen.‹«
    Kurz darauf tritt die Autorin einen Schritt zurück und betrachtet das Geschriebene von außen: »Sie werden sehen, daß die Töchter in romantischen Geschichten sich immer an ihre Mütter beim Tanzen erinnern.« Ein weiterer Schritt rückwärts führt die Autorin zu einer Betrachtung über ihr Schreiben: Ein kurzer Abriss listet Notizen auf, die Didion sich über Inez’ Familie gemacht hat, über Herkunft, Kleidung, Erziehung. Der Abriss endet mit den Worten: »Sie sehen die Scherben des Romans, den ich nicht mehr schreibe, die Insel, die Familie, die Situation. Ich habe die Geduld damit verloren. Ich habe die Nerven verloren.« Auch die Kulisse oder die Motive und Charakterzüge der Hauptfigur, die eine schlüssige Psychologie begründen würden, scheinen Didion wenig aussagekräftig:
    »Denken Sie lange genug über diese Dinge nach, und Sie werden sehen, daß sie einen dazu bringen, die Bedeutung nicht nur von Persönlichkeit, sondern auch von Erzählen zu leugnen. Das macht diese Dinge nicht gerade zu idealen Bildern für einen Romananfang, aber wir begnügen uns mit dem, was wir haben.«

    Bilder nicht schichten, sondern entfalten. – Wenn es überhaupt einen Slogan, einen Leitsatz gibt, der überdimensional über der schmalen Straße des Schreibanfängers leuchten sollte, dann wäre es für mich dieser. Ein Satz wie dieser ist nicht schwierig zu verstehen. Aber mit Didion habe ich ihn erst begriffen.
    Didions Misstrauen gegenüber der Sprache zwingt sie zur Zurückhaltung. Ihrer Poesie der Reduktion liegt das Wissen zugrunde: Das Wenige, was wir haben, muss sehr bewusst untergebracht werden. Ihre Texte sind beherrscht von dem, was nicht gesagt wird. In dieser hochgeschlossenen Eleganz liegt die Kraft ihres Schreibens; mit zwei, drei Sätzen entwirft sie eindringliche Szenen, im knappsten Dialog gewinnt sie die Essenz der Figur.
    Die Reduktion ihrer erzählerischen Mittel zielt auf das landläufige Verhaftetsein an Inhalte. »Inhalte sind für mich immer sprachlich«, sagte Didion in einem Interview. Sie verändern sich nicht nur abhängig davon, wer sie wiedergibt, in welchem Zusammenhang, unter welchen Umständen, sondern sie verändern sich schon im Moment der Wiedergabe selbst; wiederholtes Erzählen derselben

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