Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)
Sache ist bereits die Erzählung des zuvor Erzählten. Was sie schon als Kind interessiert habe, so Didion, »war die Art, in der Sätze funktionieren und wie man eine Geschichte ändern kann, indem man einfach die Art der Sätze ändert. Nur die Form der Sätze, nicht die Fakten in den Sätzen«.
Nachdem in Demokratie verschiedene Anfänge durchgespielt und die Entscheidung für einen davon zur Beschreibung einer disparaten Welt für unsinnig erklärt wird, erst dann kristallisiert sich ein brauchbares Bild heraus. Didion konzentriert sich so auf dieses Bild, dass sie es zum Leuchten bringt: Der Strand. Der Strand, und wie Jack Lovett an diesem Strand auf Inez Victor wartet und wie Didion Teil dieses Wartens ist. Jack Lovett, ein zwielichtiger Global Player, in Waffenhändler- und Geheimdienstkreisen unterwegs, der Inez Victor, Tochter einer der reichsten und mächtigsten Familien auf Hawaii und Frau eines US -Senators, liebt. »Ich mache nun schon eine ganze Weile Notizen über die Art, wie Jack Lovett auf Inez Victor wartete.« An dieser Stelle erfahren wir noch nicht, wer genau Lovett ist oder wie dieses Warten aussieht. Aber im Laufe des Romans wird Didion auf dieses Bild immer wieder zurückkommen. Der Strand wird sich verändern, das Land, dem dieser Strand gehört, wird sich verändern, aber die Situation wird doch wiedererkennbar sein. Und so ähnlich wird Didion mit einer begrenzten Menge blitzlichthaft erhellter Situationen verfahren.
Ihr Erzählen ist elliptisch. Es kehrt immer wieder zu zentralen Momenten zurück. Diese Momente sind durch Motive untereinander verbunden. Motive oder Sätze. Didion schreibt, als kreise sie vogelperspektivisch über ihrem Material, sie hat alles gleichzeitig im Blick, und an bestimmten Stellen, die auf eine konkrete Aussage, auf ein wichtiges Detail hin durchlässig sind, stößt sie herab. Sie holt dieses Detail an die Oberfläche und lässt es von nun an nicht mehr in Ruhe, sie spielt damit, sie kommt darauf zurück, sie schleppt es mit durch den restlichen Text. Beispielsweise greift Didion einen der Sätze, die den ersten Moment am Strand etablieren, später erneut auf, und indem sie ihn aufgreift, verändert sie ihn. Sie wirft ihn herum, sie treibt ihn in eine neue Richtung, was eine Öffnung derselben Situation nach sich zieht und sie verändert. Sie eröffnet mit demselben Satz einen neuen Sinnzusammenhang. Sie legt den Satz einer anderen Person in den Mund und kann so diese Situation mit dem gleichen Material dennoch in einer anderen Perspektive erzählen.
Die Aufhebung der Chronologie, die Absage an einen erzählerischen Realismus, der das Leben auf einen Zeitstrahl spannt, gibt ihren Texten eine große Offenheit. Man könnte an jeder Stelle einhaken und ein weiteres Thema aufmachen. Hier wird nichts von unten nach oben oder von vorn nach hinten gebaut, sondern an jeder Stelle von innen etwas zugefüttert. So ist es ihr möglich, die Liebesgeschichte zwischen Inez und Jack aus der für eine Liebe üblichen Dramaturgie herauszuheben. Auch hier wird von Möglichkeiten erzählt. Didion bringt die Versatzstücke einer Liebe, die sie, die Autorin, die gleichzeitig in der Rolle der fiktiven Journalistin steckt, bei ihren Recherchen zu diesem Buch zusammengetragen hat, in eine Reihenfolge, deren Richtigkeit sie nur vermuten kann. Das Erzählmodell der Recherche ermöglicht es Didion, nach rein motivischen oder ästhetischen Gesichtspunkten von dieser Liebe zu erzählen. Sie kann Anfang und Ende vertauschen, sie ineinanderschieben, sie kann einen Satz Lovetts vom Beginn der Liebe und einen vom Ende der Liebe in einer Szene zusammenprallen lassen, um in ein die Aussage beider Sätze übersteigendes drittes Thema überzuleiten, und sie kann immer wieder vom Warten Jack Lovetts am Strand erzählen, als sei es das erste mal.
An keiner Stelle im Roman gibt es Sicherheit über das Erzählte. Das heißt nicht, dass Unordnung herrscht. Das heißt nicht, dass am Ende keine Geschichte erzählt wird. Didions Romane sind streng komponiert. Ihr Erzählen ist eines, das sich mit wenig begnügt und dieses Wenige einem strengen Bauprinzip nach einsetzt, wodurch ein äußerster Grad an Konzentration erreicht wird. So offen ihre Texte sind, haben sie doch ein Auffangnetz, das ihnen eine dichte innere Struktur verleiht. Und das sind jene Wiederholungen. Sätze werden eingesetzt wie Themen in der Musik. Auf diese Weise können Dinge, die sonst nur schwer vereinbar wären, zusammengezogen,
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