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Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Titel: Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kutzmutz
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Persephoneias Bienen uns zu tun geheißen«, schreibt er 1920. Auch Stalin höchstpersönlich hält sich ein paar Völker, auf seinem Gelände in Subalowo. Als er nach der Revolution 1919 den Landsitz eines Industriellen in Beschlag nimmt, lässt er sofort ein Bienenhaus errichten und Buchweizen anpflanzen, für den Honig, vielleicht vom Wunsch getrieben, die Bienen fütterten auch ihn im Schlaf.
    Ich begann, mich in Mein Bienenjahr zu versenken, und bald füllten die Bienen meine Träume aus. Beim Aufwachen wusste ich nicht zu entscheiden, ob ich im Traum Bienensätze geschrieben oder mich um meine Bienen gekümmert hatte. Als ich – von der Autorin, wie ich meinte, immer wieder dazu ermuntert – irgendwann beim Frühstück Berechnungen anstellte, wieviel Zeit mich das Halten von vier oder zehn Völkern über das Jahr kosten würde, als ich den überraschend geringen Arbeitsaufwand gegen den Erfahrungsgewinn abwog, der sich aus dem Bienenumgang ergibt, wurde mir vielleicht gerade noch rechtzeitig klar: Ich könnte das Imkern so wenig wie das Schreiben als Hobby betreiben. Wenn ich mich für die Bienenhaltung entschiede, wäre es mit dem Schreiben schnell vorbei.

Aufgabe
    Ein Imker legt im Verlauf des Jahres Stockkarten an, Notizen zur Entwicklung einzelner Völker, zum Wetter, zum Ertrag, zu Krankheiten und Vorbeugemaßnahmen. Jedes Kapitel in Mein Bienenjahr bietet am Ende eine Seite Platz, in die der Leser eigene Beobachtungen an seinen Bienen eintragen mag. Lieselotte Gettert weist im Vorwort darauf hin, ihr Arbeitskalender könne so über die Jahre in den Händen des Lesers zu einer Chronik werden. Ja, Bienen und Bienenwirtschaft sind ein alter, gut gefüllter Bildspeicher für die Dichter. Und Imkerbilder eignen sich vorzüglich, um das Schreiben zu erfassen. Was mich von einem Leben als Bienenhalter hat absehen lassen, damit ich weiter schreibe: Die Tätigkeiten haben einfach zu große strukturelle Ähnlichkeit, als dass ich beiden nachgehen könnte.
    Wie sich Beobachtung und Imagination durchdringen. Das Hineindenken, das Eingreifen in eine andere, auch ohne mich existierende Welt, von der ich weiß, dass ich sie niemals ganz begreifen werde. Diese ungeheure Intensität – alle Sinne werden gefordert, jede Nervenfaser ist angesprochen, da ich mich in ein Wechselspiel begebe, sei es nun mit dem Bienenvolk oder mit der Sprache. Die kleinste Unachtsamkeit meinerseits kann das Gefüge so empfindlich stören, dass alle Nacharbeit vergebens ist. Es gibt Routinen, eingeübte Handgriffe, gewiss – immer aber muss ich mit scharfem Blick an die Arbeit gehen, muss Bien und Sprache jedesmal von neuem betrachten. Und jede Lösung, die ich finde, mag für niemanden sonst Gültigkeit besitzen, ja, in Kürze wird sie vielleicht auch mir selbst nicht mehr weiterhelfen.
    Die Bienen reagieren auf ihren Imker, aber sie kennen den Imker nicht. So auch die Sprache. Ich gehe mit ihr um, ich lenke sie ein Stück, sie kommt mir entgegen, im nächsten Augenblick entgleitet sie mir wieder. Ich glaube, mit der Sprache vertraut zu sein, und doch muss ich mir stets bewusst machen: Die Sprache kennt mich nicht. Ganz wie das Bienenvolk behält sie immer ihr Geheimnis, lebt und verwandelt sich nach eigenen Gesetzen. Und wie der Imker kann auch ich mir keine Sentimentalitäten leisten – im ärgsten Fall muss eben abgeschwefelt werden.
    Imkern, das weiß ich mittlerweile, ist Schreiben ohne Text. Ich vermute, ein Imker würde das, wenn auch vielleicht mit anderen Worten, genauso sehen. Beim Schreiben spreche ich vor mich hin, der Kehlkopf ist immer in Bewegung. Und ich bin mir sicher, daß Lieselotte Gettert während der Arbeit leise mit ihren Bienen spricht.

FRANZISKA WOLFFHEIM
    Ich sehe, also bin ich
    Wilhelm Genazino: Ein Regenschirm für diesen Tag [2001]
    Wilhelm Genazino ist der große Apologet des Alltags. Seine Helden reisen nicht zum Nordkap, nicht nach Patagonien, sie bleiben zuhause, streunen in den Straßen ihres Viertels herum und werden überall fündig: Die Exotik liegt gleich nebenan, im Kaufhaus, in der U-Bahn-Station, an der Theke der nächsten Kneipe. Seine Helden haben nicht nur Sehnsucht – nach Sicherheiten, nach Klarheit in ihrem Leben, nach Entscheidungen, die sie selbst herbeiführen müssen -, sie werden immer auch getrieben von einer ausgeprägten Seh-Sucht: Sie beobachten ihre Umgebung, lassen die vordergründige Unscheinbarkeit der Menschen und Dinge auf sich wirken, anstatt ihr Umfeld nach grellen

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