Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)
Bienenstand.
Praktisch, eindeutig – und dabei trotzdem von schimmernder Dunkelheit. Mitunter genügt die Umstellung der Elemente innerhalb eines Kompositums, um eine völlig neue, fremde Welt zu öffnen. Niemand wird etwa eine Baumbeute mit einem Beutenbaum verwechseln – letzterer ist eine natürliche Bienenwohnung, erstere hat der Mensch früher in Anlehnung an die Natur geschaffen. Diese Sprachökonomie: der Bien – die Biene. Den Bien bitte nicht für eine Drohne halten, er »ist ein Gesamtorganismus, der aus vielen Einzellebewesen besteht, von denen keines für sich allein lebensfähig ist, sondern nur alle Glieder zusammen mit Wabenbau und Behausung (Beute)«, erklärt uns Lieselotte Gettert.
Wörter, die – aber so kann es gar nicht sein – ihre Bedeutung je nach Textzusammenhang zu ändern scheinen. Wörter, deren Bedeutung ich mir entlang von Klangerinnerungen zu erschließen versuche. Pflegevolk, Zuchtvolk, Wirtschaftsvolk, Jungvolk. Ich lerne den Brutraum vom Honigraum zu trennen. Doch wie unterscheidet sich der Fluchtraum vom Trommelraum genau? Gerät der Wortsinn hier ins Schwirren, finden sich wider Erwarten gar Synonyme im Imkerdeutsch, dessen poetische Strenge mir doch immun erscheint gegen das Missverständnis, es gebe austauschbare Begriffe? Vorschwarm und Nachschwarm. Singerschwarm und Hungerschwarm. Naturschwarm und Kunstschwarm. Ein Schwarm wird »eingeschlagen«, Futter »aufgeritzt«. Bleibt im August die »Drohnenschlacht« aus, finden sich also keine toten Männchen um das Flugloch, nimmt Gettert dies als Zeichen, dass ein Volk »noch still umweiseln will« – ein Vorgang, »über den das Volk zu entscheiden hat, der Imker sollte nicht eingreifen«.
Mich hingegen macht Weiselunruhe selbst unruhig. Ich sehe mich eine Weiselprobe vornehmen. Die Sprachbildung wird beim Umgang mit Bienen nahezu automatisch angeregt. Am Sonnenwachsschmelzer geht die Arbeit gut voran. Ich beobachte ein Volk am Fangkorb, wo natürlich heftig gesterzelt wird. Unwillkürlich legt man Literaturlisten ungeschriebener Bücher an, Die Schwarmverhinderung , Beim Bienenzuchtberater , Erinnerungen aus dem Schleuderraum , Belegstellenvölkchen gestern und heute , Wider die Buckelbrut oder Erfahrungen mit Kärntner Drohnenmütterchen – das alles will ich unbedingt lesen. Und schon fahre ich wieder mit der Gemüllkrücke in den Totenfall. Magie. Hormone. Wer Imkersprache liest, beginnt umgehend mit dem verbalen Wabenbau.
Wirkt hier die Zaubernähe des Imkerwesens nach? Wir erinnern uns an den Lorscher Bienensegen , an »sizi, sizi, bina / sizi vilu stillo, wirki godes willon« – »sitz, Biene, sitz ganz still, wirke Gottes Willen«. Wieder der Schwarmdrang also, wir erinnern uns: Die Biene Maja , eine vorlaute Biene ist geschlüpft, die Königin hat nichts im Griff, wenig später wird Maja den Stock auf eigene Faust verlassen. Und wir erinnern uns noch einmal an den Anfang von Mein Bienenjahr : »Jetzt herrscht bei den Bienen vollkommene Ruhe.« Ein schlichter Satz in sicherem, gelassenem Ton, eine klare Beobachtung, habe ich eingangs gemeint – und doch klingt hier die frühmittelalterliche Bienenbeschwörung nach, aus dramaturgischen Gründen in den Januar verlegt, wenn – wie der lesende Laie an diesem Punkt noch gar nicht wissen kann – im Bien niemals Schwarmstimmung herrscht.
Bei Lieselotte Gettert wird also nicht das Bienenvolk, es wird zunächst einmal der Leser gebannt, und das, ohne direkt angesprochen zu werden – das indirekte Adressieren, die Anrede über Eck ist ja ein gängiges Zauberverfahren, zudem gilt der direkte Blickkontakt weithin als Zeichen von Aggressivität. Keine Beobachtung von Nichts, wie wir jetzt merken, sondern ein Auftritt: Die Imkerin spricht, ihre Stimme strahlt Autorität aus, sie führt uns vor, wie ihr die Bienen aufs Wort gehorchen, wie die Insekten dem Willen Gottes und des Imkers folgen. Die Stimme beruhigt uns, da wir erfahren, wie sie die Bienen beruhigen kann.
Es ist erklärtes Ziel wohl jedes Imkers, die Sanftmut und die Arbeitskonzentration seiner Bienen zu fördern. Allerdings weiß auch der Fachmann noch heute nur bedingt, nach welchen Gesetzen die Honigbiene lebt. Jeder Imker hat seine Vorlieben, wie jedes Bienenvolk. Patentrezepte scheint es kaum zu geben. Eine Fülle von Bienenverhaltensweisen lässt sich durchaus voraussagen, dennoch können sich einzelne Völker ganz unterschiedlich entwickeln, ein Volk reagiert womöglich auf Eingriffe des Menschen in
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