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Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Titel: Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kutzmutz
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komisch zugleich, und es zeugt von der großen Souveränität Genazinos, dass er sich von seiner eigenen Methode – der Technik des gedehnten Blicks – spielerisch distanziert, ohne freilich davon abzurücken. Diese ironische Brechung ist typisch für den Autor, er verwehrt sich gegen jede Verabsolutierung, was wiederum den Charme seiner Prosa ausmacht. Wenn die Literaturwissenschaftlerin Claudia Stockinger 2004 in der Zeitschrift Text + Kritik schreibt, »Genazinos Poetik des ›bedeutungsvollen Sehens‹ erneuert frühromantische Forderungen an eine universale Poetisierung und konterkariert diese zugleich«, so lässt sich das hier aber auch an anderen Stellen sehr schön bestätigen. Die Ironie wirkt wie ein »Puffer« und verhindert, dass die ständigen Beobachtungen den Leser ermüden könnten. Wer Genazino liest, sollte ganz bewusst die subtilen Brechungen mitlesen, die seine Texte so vielschichtig machen.
    Genazino ist kein greller Possenreißer, sein Humor kommt immer durch die Hintertür daher. Dabei hat er ein feines Gespür für die ganz alltäglichen Blamagen des Lebens. Immer wieder rasseln seine Figuren in Peinlichkeits-Fallen hinein, etwa im Restaurant: Sie stoßen hilflos die heruntergefallene Kartoffel unter dem Tisch herum, wissen nicht, dass man eine Speisekarte irgendwann zuklappen muss, um zu seinem Essen zu kommen. Gelegentlich verschränkt der Autor mehrere Handlungsstränge und erreicht höchste Verdichtung: Die eine Peinlichkeit strahlt auf die andere ab – und umgekehrt. Der Leser wiederum empfindet eine Art wohlwollender Schadenfreude.
    Keine Frage, Genazino ist ein hervorragender Unterhalter, der seine Effekte genau kalkuliert. Mit größter Selbstverständlichkeit präsentiert er skurrile Ideen, als seien sie normale Bestandteile des Alltags. Nehmen wir zum Beispiel den Job, mit dem er seine Hauptfigur ausgestattet hat – ein schöneres Paradoxon lässt sich kaum vorstellen: Ein Mann arbeitet als Tester von Luxusschuhen, die er sich selbst niemals leisten könnte, ein Desperado, der vom Geld einer Verflossenen lebt. Der kilometerweit läuft, ausführliche Testberichte schreibt, damit Neu- und Altreiche hochwertige Schuhe mit optimalen Trageeigenschaften erwerben können. Das hat etwas von einem Vorkoster am königlichen Hof. Die Ironie ist hier wie so häufig bei Genazino doppelt: Sie zielt nicht nur auf den kuriosen Job der Hauptfigur, der ihr nur scheinbar ein Upgrading beschert, sondern auch auf eine Gesellschaft, die sich solche Berufe glaubt leisten zu müssen.
    Genazino hat stets ein scharfes Auge für die Absurditäten und Zumutungen unserer Wohlstandsgesellschaft, für die grotesken Rituale des Polit-Spektakels oder jeder Form der Massen-Bespaßung. Seine Zivilisationskritik kommt niemals pathetisch-lamentierend daher, wird niemals mit erhobenem Zeigefinger erhoben, sondern immer behutsam inszeniert. Wenn bei einem öffentlichen Sommerfest »LUSTIGE ZEICHENTRICKFILME« gezeigt werden, das Gelände zur »PARTYMEILE« und der Marktplatz zur »SPASSZONE« mutiert, tritt der Sprachschützer und Kulturkritiker Genazino auf den Plan und spießt diese Auswüchse einer normierten Freizeit-Industrie genüsslich auf. Jeder, der ernsthaft das Metier des Schreibens betreiben möchte, wird auf derartige Sprach-Module sensibel reagieren. In Genazinos Texten lernen wir, unseren Blick zu schärfen. Und mit derartigem sprachlichen Fastfood unter Umständen kunstvoll zu jonglieren.
    Mit unglaublicher Leichtigkeit das Schwerste ausdrükken, mit minimalem erzählerischen Aufwand große Wirkung erzielen, ob es sich nun um eine Liebes-, Abschieds- oder Partyszene handelt – das können nicht viele. Nehmen wir zum Beispiel die missglückte Annäherung zwischen dem linkischen Schuhtester und einer attraktiven Frau, die er von früher kennt. Sie sitzen in einem Lokal zusammen, später reflektiert der Erzähler sein Verhältnis zu ihr:
    »Selbstverständlich will ich eine Frau, aber mit jetzt sechsundvierzig Jahren fühle ich mich zu alt oder vielmehr zu verschlissen für die Rolle eines Mannes, der noch einmal den Liebhaber geben will. Ich kann nicht mehr sprechen wie ein solcher Mann, ich kann mich nicht mehr verhalten wie ein solcher Mann. Ich bin Susanne nur zufällig wieder nahegekommen. Aber auch meine zufällige Nähe läßt mich spüren, auf wen Susanne eigentlich wartet: auf einen tüchtigen, erfolgreichen, interessanten Mann. Der nur zufällig anwesende Mann (ich) verbringt seine Zeit mit

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