Erste Male
genau, jetzt oder nie, und trat auf die dickste Wurzelbeule. Meine Arme schwangen wild, und ich hatte das Gefühl, in Zeitlupe zu fallen, während ich die ganze Zeit mit dem Biss des Reifengummis (»Oh nein!«) in meinen Knöchel, mein Schienbein, meinen Oberschenkel rechnete. Ich wartete darauf, schreien, brüllen, alles rauslassen, Vorwürfe machen zu können.
Aber Dad wich mir reaktionsschnell aus.
Als ich später mein blutiges Knie und meine Handfläche mit Wasserstoffperoxid desinfizierte, stand er im Türrahmen und hielt mir einen Vortrag über größere Vorsicht.
»Du hättest beinahe schon die ganze Saison abhaken können«, sagte er.
»Ich weiß«, seufzte ich. »Habe ich aber nicht.«
Meine Haut brennt immer noch.
ZEHNTER
Heute Abend sind ein paar von uns zur jährlichen Talentshow der PHS gegangen. Wir brauchten mal Abwechslung von der Wochenendmonotonie in Pineville, wo man nur ins Multiplex-Kino gehen, in Helga’s Diner was futtern oder beiScotty rumhängen konnte. Außerdem mussten wir Hy ein saftiges Stück Pineville-Kultur bieten.
»Ich wette, du findest für nur fünf Dollar Eintritt nirgendwo eine bessere Freak-Show«, sagte ich.
»Ich komme aus der Stadt, Schwester, da sind die Freak-Shows umsonst«, antwortete sie.
»Wart’s nur ab.«
Am Ende der Veranstaltung stimmte Hy mir zu. Wir konnten beide nicht verstehen, was diese Menschen dazu trieb, sich freiwillig vor ihren Altersgenossen zu erniedrigen.
Ich gebe hier einen kurzen Überblick.
Der Abend wurde von einer Band mit dem ziemlich selbstverliebten Namen The Len Levy Four eröffnet. Frontmann war kein Geringerer als Len Levy, der Junge, der mir mit acht Jahren das Herz gebrochen hatte. Er hatte sich mit Make-up zugekleistert, als könnte er dem Publikum weismachen, seine dunkelroten Riesenpickel wären vom Scheinwerferlicht oder vielleicht auch von der Bühnenaura seiner Rap/Metal-Crossover-Band weggewischt. Das sage ich natürlich ohne jede Bitterkeit.
The Len Levy Four stiegen also mit einem von Rage Against The Machine geklauten Song ein. Ich muss zugeben, die Band selbst war gar nicht schlecht. Len allerdings war gruselig. Schon im normalen Leben kommt er ziemlich steif und robotermäßig rüber. Und jetzt das Ganze auf Crack, dann kennt ihr seine Vorstellung von Bühnenpräsenz. Pineville Highs Antwort auf Zack de la Rocha stapfte um seine Bandkollegen herum wie ein kurzgeschlossener Cyborg, und zwar so hektisch, dass der Spot ihm kaum folgen konnte.
Len war noch gar nicht mit der ersten Strophe durch, als er schon »Pineville!« schrie und einen Stagedive probierte. Typischer Fall von vorzeitigem Erguss: Alle saßen noch. Keiner, der ihn auffing. Er landete auf den Füßen, leicht verstört, weil er nicht auf den Händen der Menge surfte.
Also versuchte er es mit Publikumsbeteiligung.
»Pineville!«, brüllte er ins Mikro.
Dann hielt er es ins Publikum und wartete auf Reaktion. Schweigen.
»Pineville!«, schrie er noch lauter.
Diesmal schlug ihm schallendes Gelächter entgegen. Der Song endete bald darauf damit, dass Len Levy sein Mikrofon auf den Boden warf und unter ohrenbetäubender Rückkopplung aus dem Saal stürmte.
Rock ’n’ Roll.
Als Nächstes kam Dori Sipowitz, gnadenloser Britney-Spears-Fan. Ganz wie die echte Pop-Lolita setzte auch Dori mehr aufs Tanzen als aufs Singen – sie bewegte bloß die Lippen zum Playback. Doris Mutter saß direkt vor uns und schrie die ganze Zeit »Sexy, Baby! Sexy, sexy, sexy!«, während ihre Tochter sich in einem pinken, paillettenglitzernden, nabelfreien Catsuit verrenkte.
Wie krank und daneben das ist, muss ich euch nicht erzählen.
Ihr folgte ein Trio prolliger Hip-Hop-Tänzerinnen, die besser kein dünnes weißes Lycra hätten tragen sollen, denn sie platzten fast aus der Pelle ( BOOM-shaka-laka-shaka-laka ). Eine Posse von Wiggaz rappte irgendwas übers toughe Gangsta-Leben und trug dabei die protzigsten Ghetto-Superstar-Outfits, die sich in der Ocean County Mall ergattern ließen. Dann gab es noch einen Jongleur und eine Grateful-Dead-Cover-Band namens Long Strange Trip .
Und noch ein paar Nummern, die ich komplett verdrängt habe. Nichts ist unangenehmer, als sich für jemand anderen in Grund und Boden zu schämen.
Der letzte Auftritt gehörte Percy Floyd, einem schwarzen Elvis-Imitator. Nach dreißig Sekunden Intro inklusive kreisender Suchscheinwerfer fegte The Black Elvis wie ein Tornado auf die Bühne. Wie jeder Elvis-Imitator, der was auf seine
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