Marcus’ Rückkehr herauszufinden; andernfalls würde sie dem Tratsch abschwören und sich ein neues Hobby suchen. Natürlich konnte nicht mal Sara den Info-Schnipsel beschaffen, den ich am meisten ersehnte: die Botschaft des Origami-Mundes. Trotzdem, Saras hartnäckige Neugier ist manchmal ganz nützlich.
»Ohmeingott! Das glaubt ihr nicht!«, sagte sie. »Krispy Kreme ist ein Zitat Genie Zitat Ende .«
Anscheinend war man in der Klinik in Middlebury total verblüfft gewesen, wie philosophisch tiefschürfend Marcus seine Selbstzerstörung begründet hatte. So verblüfft, dass man gleich eine ganze Reihe von Intelligenztests mit ihm veranstaltete, um herauszufinden, ob er begabt oder bloß bekloppt war. Offenbar Ersteres: Seine Ergebnisse stuften ihn unter die klügsten zwei Prozent der Bevölkerung ein. Die Mediziner folgerten also, dass Marcus in der Schule einfach nicht gefordert worden war und sich zum Zeitvertreib den Drogen zugewandt hatte. Mit Unterstützung seines Bewährungshelfers drohten Mr und Mrs Flutie der Schulbehörde mit einer Klage, weil die ihn schon in der Grundschule als verhaltensgestört eingestuft hatte und seitdem seine zahlreichen Talente verkümmerten. Die Behörde knickte ein, ließ ihn wieder an die Schule und steckte ihn in unsere Leistungsstufe.
»Aber er wird uns nicht lange belästigen«, schloss Sara schadenfroh.
»Wieso nicht?«, fragte ich ein bisschen zu besorgt.
»Wenn er bei irgendwelchen illegalen Handlungen erwischt wird, fliegt er für immer.«
»Und wieso bist du so sicher, dass das passiert?«
»Hallo?«, mischte sich Manda ein. »Meinst du, der wird auf einmal clean, bloß damit er das ganze Jahr das Vergnügen hat, mit uns in Physik zu sitzen?«
»Warum nicht, Manda«, sagte ich und wünschte mir, ich hätte Recht. »Vielleicht will er sein Leben von Grund auf ändern.«
»Jess?«
»Ja?«
»Also bitte .«
Bitte . Bitte. Bitte, bitte, Marcus. Wenn schon nicht für dich, dann für mich.
SIEBTER
Letzte Woche habe ich mindestens zwei Dutzend dringende Mails von
[email protected] gekriegt. Ich habe jede einzelne ungeöffnet in den Papierkorb verschoben. Eine Mail von Miss Hyacinth Anastasia Wallace ist hinterhältiger als der I Love You -Virus.
Ich hoffe aber jedes Mal beim Einloggen, neben meiner täglichen Dosis Hope noch was anderes zu finden: eine Mail von
[email protected], mit einer kryptischen, aber bedeutsamen Botschaft darin. So was wie …
Keine Ahnung. Ich komme nicht mal so weit in Marcus’ Gedanken, dass ich mir was ausdenken könnte. Vielleichtkann ich auch deshalb im Traum nie hören, was er mir zu sagen versucht. Die letzten paar Nächte hatte ich immer den beinah gleichen Traum: Marcus und ich sitzen nebeneinander auf der Liege im Schwesternzimmer. Seine Lippen bewegen sich. Er sagt mir etwas, aber ich kann es nicht hören, weil irgendein Lärm ihn übertönt.
Die Lärmquelle wechselt jede Nacht. Beim ersten Mal waren es die Footballfans der PHS, die von den Tribünen brüllten: PINE -ville! PINE -ville! PINE -ville! Beim zweiten Mal spielte eine Stereoanlage die schmierigsten Hits der ersten Backstreet-Boys-CD: »As Long As You Love Me«, »All I Have To Give«, »Quit Playing Games (With My Heart)«. Letzte Nacht waren es die ganzen Summer und Klingeln und Tröten von der Strandpromenade.
Das Entscheidende ist: Sollte es eine Botschaft geben, ist es mir nicht bestimmt, sie zu bekommen. Und er wird sie mir bestimmt nicht mitteilen. Es sind zwar erst zwei Tage, aber ich weiß jetzt schon, so wird es das ganze Jahr gehen, oder jedenfalls solange Marcus durchhält und in unserer Stufe bleibt.
ZEHNTER
Mit seinen Wünschen sollte man sich vorsehen.
Warum ist von all meinen kranken Tagträumen ausgerechnet dieser in Erfüllung gegangen?
Nachdem ich die ganzen Ferien eingeschlafen bin, kaum dass ich im Bett war, hat es nicht mal eine Woche Schule gedauert, bis die Schlaflosigkeit wiederkehrte. Okay, meine erste Schulwoche hätte auch kaum bizarrer ausfallen können. Jede Nacht lag ich hellwach im Bett und versuchte mirauszumalen, welches unfassbare Ereignis als nächstes bevorstand – immerhin eine leichte Variation des Katastrophen-Themas.
Heute bekam ich die Antwort.
Gegen halb vier morgens war klar, vor Sonnenaufgang würde ich nicht mehr einschlafen. Also beschloss ich, im Dunkeln laufen zu gehen, wie schon zig Male, bloß eben seit Ende des letzten Schuljahrs nicht mehr. Zum Glück wirkte es so befreiend wie immer. Mit