Erste Male
allerdings kaum was mit meinem Attest-Arrest zu tun
• Sein Schweigen schmerzt mehr als der pochende Knöchel
• Sein Schweigen macht mich wahnsinniger als der juckende Hacken unterm Gips, den ich nicht kratzen kann
b) Ich habe mehr als genug Zeit, darüber zu grübeln
ACHTZEHNTER
Wegen meiner Verletzung muss ich so viel Zeit mit meiner Mutter verbringen wie zuletzt als Fötus. Meine Schwester ist zu sehr damit beschäftigt, Mrs Grant Doczylkowski zu spielen – ratet mal, wer als Ersatz herhalten muss.
Jeden Tag nach Schulschluss setzt Mom sich neben mich auf die Couch und versucht mir ein Gespräch unter Frauenaufzuzwingen. Ich glaube, sie will mir das Gehirn waschen, damit ich am Ende meiner dreißig Tage Attest-Arrest eine zweite Traumtochter abgebe.
Wenn Mom nicht so tut, als wäre ich die geliebte Erstgeborene, hält sie mir Vorträge über das Leben an sich. Eins ihrer Lieblingsthemen heißt »Sieh doch mal die Relationen«. Relationen findet meine Mutter ganz wichtig. Ständig erzählt sie mir, ich soll die Relationen sehen, alles ins Verhältnis setzen, dann würde ich auch nicht aus der kleinsten Mücke so einen riesigen Elefanten machen und wäre überhaupt ein glücklicherer Mensch.
Was mich daran schon immer total genervt hat, ist die Missachtung meiner aktuellen Gefühle. Wenn mir was Beschissenes passiert – wenn mich zum Beispiel jemand, den ich für meine Freundin hielt, für einen Buchvertrag verkauft –, dann sind meine negativen Gefühle doch wohl gerechtfertigt. Man fühlt sich vielleicht nicht ganz so beschissen wie nach einer Ansteckung mit dem Ebola-Virus, aber eben trotzdem beschissen. Ist doch nicht meine Schuld, dass ich mich auf dieser Welt eben mit solchen Problemen herumschlagen muss. Sie sind zwar albern und lächerlich, aber sie machen mich fertig und sie sind ganz und gar meine .
Außerdem kann ich sehr gut Relationen sehen. Zum Beweis folgen nun ein paar bisher nicht dokumentierte Ereignisse, die – in weniger bewegten Lebenszeiten – seitenweise neurotische Ergüsse produziert hätten.
ERSTES NICHT DOKUMENTIERTES EREIGNIS
»Bonjour, mademoiselle!«
Das war am ersten Schultag. Die Stimme klang fremd. Ein Bariton an Stelle eines Kastraten. Ich drehte mich, um nachzuschauen.
Es war jedenfalls nicht Pepe das Stinktier, sondern ein ganz anderer Typ. Zehn Zentimeter größer und fünfundzwanzig Pfund Muskelmasse schwerer, und das in nicht mal drei Monaten.
Das war Pubertäts-Pepe.
»Pep- … ich meine, Pierre!«, staunte ich. »Du bist ja erwachsen!«
Er wuchs vor Stolz noch mehr. »Danke.«
»En français, s’il vous plaît«, säuselte Madame Rogan. Sie hatte nichts dagegen, wenn wir vor dem Unterricht quatschten, solange es auf Französisch war.
»Comment était ton été?« (»Wie war dein Sommer?«)
»Äh. J’ai travaillé sur la promenade.« (»Eh. Ich hatte einen Job an der Promenade.«)
»Moi aussi.« (»Ich auch.«)
»Vraiment? Où?« (»Echt? Wo?«)
»J’étais … le Trottel.« (»Ich war … der Trottel.«)
Oh l’homme! (Oh Mann!)
Pubertäts-Pepe (früher das Stinktier) alias Pierre alias Percy Floyd alias The Black Elvis … war auch noch der Trottel! Der Typ, der den erniedrigendsten Job der Promenade zum allercoolsten gemacht hatte! Meine Hochachtung für Pepe erreichte ein ungeahntes Ausmaß.
Unser Gespräch wurde von Madame Rogans Gequatsche über ihren frankophilen Sommerurlaub unterbrochen.
Als es klingelte, wollte ich Pepe unbedingt dazu gratulieren, der beste Trottel seit Menschengedenken gewesen zu sein. Und natürlich wollte ich ihn fragen, wieso er sich an jenem einen deprimierenden Abend von den Farbkugeln hatte niederballern lassen. Weshalb war er so down gewesen? Ich wollte es echt wissen. Ich dachte, gegen so resignierte Trübsal sei er immun.
Aber ich bekam gar nicht die Gelegenheit. Pepe sprang auf und raste zur Tür – in die Arme einer zart gebauten, sommersprossigen Turnerin aus der Neunten namens Drea Soundso. Ihren Vornamen wusste ich bloß, weil ich mal gehört hatte, wie Burke und P. J. über ihre körperlichen Fähigkeiten spekulierten. Widerlich.
Und dann fiel mir auf, dass sich nicht nur Pepes Stimme und Körperbau verändert hatten: Er hatte mich auch nicht »ma belle« genannt. Die war ich nämlich nicht mehr.
ZWEITES NICHT DOKUMENTIERTES EREIGNIS
Bridget weiß nichts über Burkes und Mandas SOS; wenn sie also schmalzig dahersülzt, merkt sie gar nicht,
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