Erste Male
nicht vor, aber trotzdem, ich bin echt schwer drüber weggekommen.
Sag also bitte erst, dass Du kommst, wenn Du genau weißt, dass Du kommst. Und komm nur, wenn Du auch wirklich willst. Dass Du herkommst, obwohl Du eigentlich woanders sein willst, fände ich jedenfalls noch beschissener, als Neujahr allein zu verbringen.
Deine brutal ehrliche J.
DEZEMBER
VIERTER
Heute vor einem Jahr war der erste Tag meiner letzten Regel.
Nicht unbedingt ein Grund zum Feiern.
Als ich Mom damals vorgelogen habe, ich würde meine Tage haben, war das der einfachste Fluchtweg. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, weil ich damit rechnete, früher oder später würde es schon wahr werden. Jetzt nehme ich also alle achtundzwanzig Tage ein paar Tampons aus dem Karton unterm Waschbecken und spüle sie ins Klo, damit sie glaubt, mein Zyklus sei vorschriftsmäßig.
Und jetzt kann ich ihr nicht mehr erzählen, dass meine Eierstöcke immer noch Urlaub machen. Sie würde nicht bloß ausrasten und mir Hausarrest verpassen, sondern mich auch zum Frauenarzt schleifen. Und schon beim Gedanken, mich auf den Tisch zu legen, während ein Wildfremder mir den Arm bis zum Ellbogen reinsteckt, bis in die Gebärmutter … Oh Mann! Das halte ich nicht aus. Auf keinen Fall. Ich würde ihm quer durchs Sprechzimmer kotzen. Das schwör ich.
Was ist bloß los mit mir? Wird meine Regel je wiederkommen? Warum gibt meine weibliche Ausstattung schon den Geist auf, bevor ich sie einmal gebraucht habe? Wieso ist mir die Weiblichkeit entzogen worden? Wieso bin ich wieder vorpubertär?
Was für eine Ironie. Seelisch und geistig bin ich meinem Jahrgang Jahrzehnte voraus. Aber körperlich gehe ich noch in den Kindergarten, verdammt.
SECHSTER
PAUL PARLIPIANO IST SCHWUL!
Herr im Himmel.
Die ganze Schule dreht deshalb am Rad. Sein Coming-out hatte er an Thanksgiving im Familienkreis. Seine Eltern wollen ihn zwar unterstützen, aber die ganze Stadt sollte es auch nicht gerade wissen. Sollte ein Geheimnis bleiben. Aber gestern hat Mrs Parlipiano im Supermarkt eine Nachbarin getroffen und ist vor der Delikatessen-Theke zusammengebrochen. »Mein Sohn ist schwul!«
Offenbar hatte Paul Parlipiano schon lange vermutet, schwul zu sein. Aber erst, als er nach New York gezogen war, entdeckte er seinen inneren George Michael so richtig und traute sich, die Regenbogenfahne zu schwenken und sich als Schwuchtel zu erkennen zu geben.
Ja, ich weiß. Ich hör mich an wie Slim Shady. Ich sollte mich schämen. Sollte mich für Paul Parlipiano freuen. Er lügt sich nicht mehr in die Tasche. Aber ich bin einfach nur stinkig. Nicht, weil ich jetzt keine Chancen mehr bei ihm habe – ich hatte ja, Gott sei’s geklagt, auch vorher schon keine Chance bei ihm, als er noch »normal« war. Nein, nein. Ich bin stinkig, weil ich keine Tagträume mehr von ihm haben kann. Ich hatte mir so eine schöne Fantasiewelt zusammengebastelt, und die hat er jetzt zerstört. Es ist schlimm genug, einem Typen nachzuschmachten, der nicht mal weiß, dass du existierst. Aber noch viel schlimmer ist es, einem Typen nachzuschmachten, der nicht weiß, dass du existierst, und der sich gern von hinten nehmen lässt. Das eine ist Träumerei. Das andere blanker Masochismus.
Du glaubst bloß, dass du mich liebst, hat er gesagt. Würdest du mich kennen, wüsstest du es besser.
So langsam glaube ich, über nichts und niemanden auch nur das kleinste bisschen zu wissen. Meine ganze Vorstellung von Liebe und Sex ist total, absolut, irreparabel verdreht.
SIEBTER
»Was hat es zu sagen, wenn deine große Liebe sich als homosexuell entpuppt?«, habe ich Marcus heute Nacht am Telefon gefragt.
»Tja, Darlene, ich würde meinen, dass er nicht deine große Liebe ist.«
Darlene ist mein Alter Ego. Sie hat letzte Woche das Licht der Welt erblickt. Marcus lag auf seinem Bett, rauchte und wartete, dass ich anrief. Dann, sagt er, hat er angefangen, immer wieder meinen Nachnamen zu sagen, wie ein Mantra. Und irgendwann wurde aus DarlingDarlingDarlingDarlinDarlinDarlin eben »Darlene«. Marcus meint, Darlene sei irgendwie ein bisschen schlampig und trashig und deshalb viel amüsierfreudiger als ich. Ich fand Jessica Darling ja sowieso immer zu niedlich, klang nach Cheerleader oder Anführerin vom Club der Ahnungslosen, jedenfalls nach einer, die ich hassen könnte. Deshalb war mir diese Verstümmelung ganz recht.
Ich versuchte ihm zu erklären, wie sehr ich geglaubt hatte, Paul Parlipiano zu lieben.
»Ich war total
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