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Erste Male

Erste Male

Titel: Erste Male Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan McCafferty
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Sekunde in diesem Auto raubte mir ein Jahr Lebenszeit.
    »Ich …«
    Als ich den Mund aufmachte, wollte ich ihr eigentlich nur so viel erzählen, dass sie den Zündschlüssel drehte und nach Hause fuhr. Aber nachdem ich einmal angefangen hatte, gab es kein Halten mehr.
    »Ich … ich habe das Gefühl, du wärst nur dann gern mit mir zusammen, wenn ich jemand anders wäre, eine Schönheit wie Bethany oder Bridget. Und Dad kann bloß was mit mir anfangen, wenn ich die sportlichen Höchstleistungen bringe, die er eigentlich von seinem Sohn erwartet hatte. Aber wenn ich irgendwie versuche, ich selbst zu sein, dann seid ihr damit nicht zufrieden. Ständig versucht ihr mir meine Gefühle auszureden oder ein schlechtes Gewissen zu machen, weil ich nicht so denke wie ihr. Tut mir leid, dass ich nicht so beliebt bin, und nicht zum Shoppen geboren, und dass ich nicht jede Menge Freunde anschleppe, so wie Bethany. Tut mir leid, dass Matthew gestorben ist und Dadihn nicht trainieren konnte! Aber das ist doch nicht meine Schuld! Ich habe echt die Nase voll, dass ihr beide das an mir auslasst!«
    Als ich fertig war, liefen uns beiden die Tränen übers Gesicht. Ich wusste nicht, ob Mom mir eine runterhauen oder mich umarmen würde.
    »Jessie«, sagte sie. »Ich … hatte … keine Ahnung … dass du …« Dann nahm sie mich in den Arm und strich mir übers Haar. Ihr Körper fühlte sich weich und warm an, wie damals, als ich noch klein war.
    Sie ließ mich wieder los und legte mir die Hände an die Wangen. »Ich möchte nicht, dass du Bethany bist. Und dein Vater will auch nicht, dass du …« Sie brachte seinen Namen nicht über die Lippen. »Dass du irgendwer anders bist als du selbst. Das will keiner von uns beiden.«
    »So fühlt es sich aber an«, sagte ich.
    »Ich verstehe Bethany besser als dich. Es war mit ihr auch nicht immer ein Zuckerschlecken, aber sie war jedenfalls …« Sie legte den Kopf schräg und suchte nach dem richtigen Ausdruck. »Weniger kompliziert als du. Und als Mutter denke ich manchmal unwillkürlich, dass alles einfacher wäre, wenn meine Kinder beide so wären wie sie. Aber dann wärst du nicht du.«
    »Was für eine Freude für alle, dass ich es doch bin.«
    »Du darfst nicht immer solche Sachen sagen«, fuhr sie fort. »Ich weiß, im Moment ist alles ziemlich schwer für dich. Und ich werde bestimmt nie ganz begreifen, wieso. Aber ich glaube, diese Probleme werden am Ende einen besseren Menschen aus dir machen.«
    »Aber wieso schweben manche Leute, zum Beispiel Bethany, so locker und leicht durch die Schule, durchs College, durchs Leben?«
    »Ich liebe Bethany, das weißt du. Aber sie ist so daran gewöhnt, ihren Willen zu bekommen, dass sie sehr verwöhnt und egoistisch geworden ist. Und daran trage ich auch Mitschuld. Aber früher oder später wird sie damit Schwierigkeiten kriegen.«
    Das klang alles sehr vertraut, wie ein Dialog zwischen unverstandenem Teenager und einfühlsamem Elternteil aus einem meiner Lieblingsfilme. Normalerweise würde ich mich bei einer solchen Enthüllung totlachen. Oder vor Peinlichkeit krümmen. Oder heulen. Wieso? Weil sie zeigt, dass ich ein ganz typischer Fall bin und nicht der komplexe, rebellische Charakter, für den ich mich (tief drinnen) halte. Aber in dem Augenblick war es mir total egal, dass Mom sich so klischeehaft anhörte und ich mich deswegen auch. Ich fühlte mich einfach besser.
    Als wir zu Hause waren, beschloss ich, Mom meine Leitartikel zu zeigen. Wenn sie wirklich wissen wollte, was im Kopf ihrer zweiten Tochter vorging, bitte.
    »Du schreibst für die Schulzeitung?«
    »Na ja«, sagte ich. »Ist keine große Sache.«
    »Warum hast du mir das nicht erzählt?«
    »Wie gesagt, keine große Sache.«
    Sie nahm ihre Lesebrille und schlug The Seagull’s Voice auf. Ich musste rausgehen, weil ich es nicht ertragen konnte, ihre Reaktion zu sehen.
    Ungefähr zehn Minuten später klopfte sie an meine Zimmertür.
    »Junge, Junge«, sagte sie. »Du bist wirklich wie dein Vater.«
    Das war nun nicht gerade die Reaktion, die ich erwartet hatte.
    »Ich wie Dad? Auf keinen Fall.«
    Sie seufzte und setzte sich zu mir aufs Bett. »Ihr seid beide Perfektionisten. Beide Dickköpfe. Kommt beide nicht so gut mit Menschen klar. Kriegt beide Depressionen, wenn was nicht so läuft, wie ihr wollt. Ihr denkt beide viel zu viel nach. Und lasst beide eure Gefühle nicht raus, bis ihr dann im unpassendsten Moment in die Luft geht«, sagte sie und fuhr mit dem Finger

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