Erstens kommt es anders ... (German Edition)
ersparte sich Stevie jeden Kommentar. Was hätte es gebracht? Sollte sie ihre so weltfremde Mutter gerade jetzt darüber aufklären, dass niemand sie einstellen würde? Jedenfalls nicht als Journalistin? So kurz nach einer halbwegs überstandenen Krankheit wäre das möglicherweise ein wenig zu viel geworden.
Bianca würde irgendwann arbeiten und allein ihr Geld verdienen. Vanessa nicht. Das war wirklich in Ordnung, Stevie betrachtete sie nicht als einen elenden Klotz am Bein.
Ihre Mom so in sich gekehrt und unglücklich zu sehen, setzte ihr zu und sie nahm sich vor, ihr eine Freude zu bereiten. Auf jeden Fall würde sie ihr Haar färben, damit die deprimierenden weißen Strähnen verschwanden. Vielleicht sollten sie tatsächlich ein anderes Appartement suchen. Es musste ja nicht gleich eines in bester Lage sein. Plötzlich verspürte Stevie den unbändigen Wunsch, ihre Mutter aufzumuntern. Nur wusste sie derzeit nicht, wie sie das anstellen sollte.
In den folgenden Wochen ließ sich Bianca immer häufiger blicken. Stevie schätzte, der Anblick ihrer Mutter war inzwischen wieder zumutbar. Außerdem konnte sie die Gelegenheit nutzen, Stevie um Geld anzubetteln (»Du hast ja keine Ahnung, wie teuer alles geworden ist!«) und sie wegen des Dodge zu nerven.
Obwohl Stevie durchaus bekannt war, dass ihre Schwester sie ausnutzte, fühlte sie, dass der etwas fehlte. Die junge Bianca brauchte neben der ganzen Studiererei einen Ausgleich. So, wie ihn Stevie damals mit den vielen Reisen, Bällen, Partys, Autotouren und ihren Freunden gehabt hatte. Leider wusste sie auch nicht, wie sie Bianca etwas Gutes tun sollte.
Am Ende brachte Aaron Mitchel sie auf eine wunderbare Idee.
Gemeinsam saßen sie im Vorzimmer der Kanzlei und besprachen die Einladungen für den kommenden Ball.
Lange zuvor hatte Stevie aufgegeben, sich darüber zu wundern, dass dieser riesige, breite Mann überhaupt ein Blatt Papier halten konnte, ohne es sofort unrettbar zu zerknüllen. Wenn man ihn erst näher kannte, erwies er sich als einfühlsamer, sehr empathisch veranlagter Mensch. Momentan hakte er die Namen ab, die sie ihm aus einer Datei vorlas, und hielt plötzlich inne. »Warum lädst du deine Mom und deine Schwester nicht auch zum Ball ein?«
Entschieden schüttelte Stevie den Kopf. »Nein, sie gehören nicht auf einen solchen ...«
Dröhnend lachte Aaron. »Selbstverständlich tun sie das! Und vergiss eines nicht:« Abrupt lehnte er sich vor und musterte sie mit seinen alten Augen. »Es ist eine Veranstaltung, die zu Victors Gedenken gegeben wird. Kein üblicher Spendenball. Ich denke schon, dass die beiden dazu gehören. Jeder andere versammelt seinen gesamten Clan. Warum solltest du allein dort stehen?«
Überzeugt hatte er Stevie keineswegs, doch je länger sie darüber nachdachte, desto mehr gelangte sie zu dem Schluss, dass Aarons Idee keineswegs so schlecht war, wie sie sich zunächst angehört hatte.
Ja, warum sollte sie eigentlich immer allein sein? Alicia verhielt sich ihr gegenüber zwar nicht mehr ganz so abweisend, jedoch nach wie vor äußerst distanziert. Und an Renata wollte sie erst gar nicht denken. Seltsam, wie unterschiedlich zwei Menschen doch geraten konnten, obwohl sie die gleichen Gene in sich trugen. Aaron war so ein wunderbarer Mann und seine Tochter ein derart unerträgliches Biest ...
Es wäre die gelungene Abwechslung für ihre Mom und Bianca. Und sie würde sich ihrer Verwandten mit Sicherheit nicht schämen müssen. Deren Fähigkeiten waren vielleicht begrenzt, aber wie man sich auf einem gesellschaftlichen Ball verhielt, das wussten sie zufälligerweise ganz genau.
Zum zweiten Mal in ihrem neuen Leben bereitete Stevie sich auf einen Ball vor.
Wobei sie sich zwang, nicht an den Ersten zu denken. So würde es nie wieder werden, schon, weil sie jetzt in anderer Funktion dort erschien.
Dennoch fiel es ihr gerade in der letzten Woche vor dem Megaereignis (zumindest für Portland und Umgebung) zunehmend schwer, sich nicht an diesen Weihnachtsball vor fast einem Jahr zu erinnern.
Ihr persönliches Aschenputtelmärchen.
Erneut wählte sie ein bestechendes Kleid, diesmal – nicht ohne ein hämisches Grinsen – entschied sie sich für ein Cremefarbenes. Hinzu kamen die üblichen Schuhe, zierlich und mit hohen Absätzen, auch die Hochsteckfrisur durfte nicht fehlen. Und ehe sie sich versah, stand abermals ein Aschenputtel-Goldlöckchen vor dem Spiegel und blickte ihr aus großen, blauen erwartungsvollen Augen
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