Erstens kommt es anders ... (German Edition)
augenblicklich in seine Richtung. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Diana der Band ein Zeichen gab. Die begann, im nächsten Moment zu spielen. Gut – auch wenn es ihn nur am Rande interessierte. Längst eilte er Stevie nach, wenngleich er sich so viel Geist bewahrt hatte, nicht zu rennen. Jedenfalls, solange sie sich im Ballsaal befanden.
Nachdem er ungefähr die Hälfte des Weges zu den Ausgängen bewältigt hatte, hielt ihn eine Hand an seinem Ärmel fest. Kurz darauf bohrten sich spitze Fingernägel durch den dichten Jackettstoff in seine Haut. »Michael, Sweetheart, wo warst du?«
Auch wenn er, für jeden deutlich erkennbar, soeben wirklich andere Probleme wälzte, schien Cassy von der angespannten Situation nicht das Geringste zu bemerken. Schon hing sie wieder wie eine Klette an seinem Hals und drückte ihre leblosen Lippen auf seine Wangen. Ohne sich die Mühe zu machen, ihr zu antworten, schob er sie aus dem Weg. Sie hätte es ohnehin nicht verstanden. Wenigstens nicht innerhalb der nächsten Minuten. Was bedeutete: Bis Cassy ein dämmriges Licht aufging, würde er den Raum längst verlassen haben.
Gäste sah Michael keine, weder registrierte er deren Fragen, noch das Stimmengewirr, das mit seinem endlosen, dumpfen Raunen die Musik untermalte. Seine Sinne hatten sich ausschließlich auf eines fixiert: jene schmale Gestalt, die sich in einiger Entfernung ihren eigenen Weg durch die Menschenmassen bahnte. Mit eindeutigem Ziel: dem Ausgang.
»Stevie bleibe stehen!«
Auch das schien sie leider nicht gehört zu haben. Je näher sie der Saaltür kam, desto schneller lief sie. Teilweise begünstigt durch die sich lichtende Menschenmasse, die sich eher im hinteren Teil des Raumes konzentrierte. Es gelang ihr sogar, den einen oder anderen Gast, der ihren Weg kreuzte, freundlich anzulächeln und dabei irgendeine Höflichkeitsfloskel von sich zu geben.
Perfekt und professionell wie immer. Kein einziges Mal verringerte sie auch nur annähernd die Geschwindigkeit. In jeder anderen Situation hätte Michael sich die Zeit genommen, die scheinbare Leichtigkeit zu bewundern, mit der Stevie sich trotz des steigenden Tempos und des glatten Bodens bewegte. Heute musste das leider ausfallen. Er konnte es kaum erwarten, diesen verfluchten Raum zu verlassen. Pünktlich, nachdem sich die Türen des Ballsaals hinter ihm geschlossen hatten, war es auch um den letzten Rest seiner Beherrschung geschehen.
»Stevie bleibe verdammt noch mal endlich stehen!« Diesmal sprach er garantiert nicht gedämpft. Unverkennbar an dem Echo, das sich in dem weiträumigen Haus ausbreitete. Selbstverständlich unternahm die so freundlich Angesprochene nicht die geringsten Anstalten, auf ihn zu hören. Sie blickte sich nicht einmal zu ihm um. Jetzt, ohne lästiges Publikum, lief sie, so schnell es ihre Schuhe zuließen. Und zwar zum nächsten Ausgang. Dem des Hauses.
Erstaunlich, wie rasant das trotz ihrer hohen Absätze funktionierte. Michael fiel ihre Kellnereinlage ein, und plötzlich wusste er sogar ganz genau, woher sie diese Fähigkeit besaß. Bevor er in ihre Reichweite gelangen konnte, verschwand sie durch die Eingangstür. Er fing das schwere Holz auf und vernahm im gleichen Moment dumpfes Donnergrollen.
Wie passend! Besser hätte sich die Situation nicht gestalten können.
Als er aus dem Haus stürzte, peitschte ihm heftiger Wind ins Gesicht, unter den sich bereits die ersten großen Wassertropfen mischten. In zwanzig Yards Entfernung sah er sie davoneilen. Und je lauter Michael rief, desto schneller schien sie zu laufen.
Genau das kostete ihn auch noch das letzte Quäntchen Beherrschung, das er sich bisher bewahrt hatte. Anstatt erneut zu rufen, was ohnehin nichts gebracht hätte, setzte er zum Spurt an und hatte sie innerhalb weniger Sekunden eingeholt. Eine Hand eiste sich auf ihre schmale Schulter und wirbelte sie herum. »Stevie, jetzt bleibe endlich stehen!«
Ihre Augen waren groß. Nicht entsetzt, sondern angefüllt mit einer Mischung aus Wut und Resignation. Dieses Gefühl kannte er durchaus.
»Lass mich endlich in Ruhe!« Erfolglos versuchte sie, seine Hand abzuschütteln, denn er verstärkte den Druck noch einmal und zwang sie, ihn anzusehen. »Verdammt, es war nicht, wonach es aussah!«
»Ach nein?«, schrie sie gegen den Wind an, der stetig zuzunehmen schien. Einzelne blonde Strähnen hatten sich längst aus ihrer Frisur gelöst und wehten ihr in die Augen. »Offenbar leide ich neuerdings unter Wahnvorstellungen, ja?
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