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Erstens kommt es anders ... (German Edition)

Erstens kommt es anders ... (German Edition)

Titel: Erstens kommt es anders ... (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kera Jung
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Büro, zog ihren uralten braunen Mantel aus und enthüllte die übliche weiße Bluse und den grauen Rock.
    »Guten Morgen, Sir!«
    Um zwölf Uhr zog sie den Mantel über und verschwand.
    Nachdem Michael den Lunch mit seinen Eltern eingenommen hatte, begab er sich wieder in sein Büro, um Miss Grace pünktlich um zwei eintreten zu sehen.
    Jeder arbeitete in seinem Teil der Büroräume, bis er irgendwann den Feierabend einläutete:
    »Sie dürfen für heute Schluss machen.«
    Ein flüchtiger Blick zum ihm: »Gute Nacht, Sir!« Und schon war Miss Grace verschwunden.
    Immer lächelte sie auf die gleiche, höfliche Art, immer sprach sie in der identischen, freundlichen Tonlage. Egal, wie spät es geworden war, wie sich seine derzeitige Stimmung gestaltete und welchen Ton er aktuell anschlug. Michaels Launen unterlagen nämlich neuerdings häufigen und irrationalen Schwankungen.
    Je länger sie diese komplette Ignoranz an den Tag legte, desto frustrierter wurde er. Im Gegensatz zu seinem Vater galt Michael als aufbrausend, cholerisch, sogar unkontrolliert. Obwohl er in der Vergangenheit sein Temperament erfolgreich gemäßigt hatte. Diese Person brachte jedoch Seiten in ihm zum Vorschein, die er bisher bestens unter Kontrolle geglaubt hatte.
    Dabei konnte er ihr absolut nichts vorwerfen. Mit ihrem korrekten, lehrbuchmäßigen Verhalten erweckte sie häufig den Eindruck, sie hätte tatsächlich zuvor noch einmal nachgelesen, um auch ja keinen Fehler zu begehen. Die Perfektion in ihrer kühlen unnahbaren Art reizte ihn inzwischen bis in den Wahnsinn. Besonders seine so irrationale Reaktion darauf.
    Wollte er es anders? Wünschte er sich stattdessen ein Mädchen in seinem Büro, das ihn unverblümt anhimmelte? Das vielleicht unter Liebeskummer litt, heulte, ihm das Leben zur Hölle machte und das an jenem Ort, an dem er nichts mehr brauchte als seine Ruhe?
    Keineswegs!
    Aber gegen etwas mehr Menschlichkeit und weniger Perfektionismus hätte er wirklich nichts einzuwenden gehabt. Dieser spezielle Gedanke ließ ein schiefes Grinsen auf seinem Gesicht erscheinen. Offenbar konnte er mit einer klaren Abfuhr nicht halb so gelassen umgehen, wie er immer angenommen hatte.
    Jeden Tag trug sie die gleiche langweilige weiße Bluse, akkurat bis zum Kragen geschlossen. Dann dieser unmögliche graue Rock – gut, der war wenigstens eng geschnitten. Was den Gesamteindruck allerdings auch nicht sehr verbesserte, weil er bis zu ihren Waden reichte.
    Hinzu kamen diese altmodischen braunen, grausam hässlichen Schuhe. Bis vor Kurzem hätte Michael geschworen, dass deren Produktion bereits vor Jahrhunderten wegen akuter Geschmacksunverträglichkeit weltweit eingestellt worden war.
    Kurzum: Allmorgendlich staffierte sich Miss Grace aus, als wäre sie einem dieser Schwarz/Weiß Streifen aus der Vorkriegszeit entsprungen, in dem sie die äußerst schüchterne und züchtige Sekretärin gab. Fehlten noch der Dutt und die Hornbrille und der Anblick wäre perfekt gewesen.
    Eine Brille benötigte sie wohl nicht und auf den Dutt wurde gnädigerweise verzichtet, doch die Alternative gestaltete sich auch nicht viel ansehnlicher. Ihr glänzendes, langes, blondes Haar wurde immer straff im Nacken zusammengehalten. Manchmal fragte er sich, wie es wohl aussah, wenn die lange Pracht ungehindert über ihre schmalen Schultern fiel. Nie verwendete sie Make-up, ihr Gesicht wirkte immer ernst und streng, viel älter, als sie in Wahrheit war. Niemals wankte sie, nie spürte er das geringste Nachlassen ihrer Konzentration. Nie gab es den winzigsten Hinweis, dass sie neben der Assistentin auch eine Frau verkörperte. Trotz ihrer unmöglichen Aufmachung war ihm das allerdings unter Garantie nicht verborgen geblieben.
    Nach vier Wochen mit grauem Ekelrock, weißer Keuschheitsbluse und stranguliertem Haar begann er, die ersten Verzweiflungstaten in Erwägung zu ziehen. Zunehmend zwanghaft überlegte Michael, versehentlich Kaffee über ihre Bluse zu schütten oder den Rock zu sabotieren. Mit Druckerfarbe oder der Tinte aus seinem Füller, nur um sie zu zwingen, endlich dieses grausame Outfit zu wechseln. Ehrlich, das hielt niemand auf Dauer aus!
    Wann wusch sie das Zeug eigentlich? Also sauber war es auf jeden Fall. Von dieser peniblen Person ging immer ein makellos, reinlicher Duft aus. Parfüm benutzte sie nicht.
    Manchmal, wenn Ärger und Frust zu groß wurden, verhielt Michael sich ungerecht, sprach viel zu scharf mit ihr, gebärdete sich viel zu streng. Kleinste

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