Erstens kommt es anders ... (German Edition)
Stattdessen flüchtete sie sich seit Neuestem immer in ein kleines Café, das wenige Minuten von der Kanzlei entfernt lag. Man konnte sich mit zwei Tassen Tee zu je einem Dollar wunderbar über die Zeit retten. Auch wenn ihr selbst die verdammt wehtaten. Wieder verbuchte sie es unter lebenserhaltende Maßnahmen, weil Stevie wirklich nicht wusste, wie lange ihre Füße das tägliche Tiefkühlen noch mitgespielt hätten.
Am ersten Tag nach den Weihnachtsferien hatte sie sich bei Mr. Rogers artig bedankt. Anstatt sich sofort an die Arbeit zu begeben, betrat sie gleich nach dem Eintreffen am Morgen sein Büro. Wie immer saß er bereits hinter seinem Schreibtisch.
»Guten Morgen, Sir!«
Verwirrt sah er auf. »Guten Morgen.«
»Ich wollte mich bedanken ...«
»Bedanken ...«, nickte Rogers vage.
»... für die Weihnachtskarte ...«
Seine Stirn legte sich in Falten, der Blick wurde argwöhnisch, doch schließlich nickte er erneut sehr knapp. »Sehr gern.«
Dem gab es seitens Stevie nichts hinzuzufügen, doch gehen wollte sie auch nicht so einfach. Als das Schweigen bedrohliche Ausmaße annahm, räusperte der Anwalt sich. »Ich hoffe, Sie haben ein schönes Fest verbracht?«
»Ja, danke.«
»Wie ich sehe, haben Sie auch den Jahreswechsel gesund überstanden.«
»Ja, danke.« Langsam wurde es albern, doch der Mann machte keine Anstalten, das Gespräch zu beenden. Stattdessen neigte er irgendwann den Kopf zur Seite und betrachtete sie mit sichtlichem Interesse. Für Stevie das ultimative Zeichen, die Flucht zu ergreifen. »Ich gehe dann an die Arbeit!«, sagte sie eilig.
Ohne sie aus den Augen zu lassen, nickte er. »Tun Sie das, Miss Grace.«
Und Miss Grace stürzte mit hochrotem Kopf aus dem Raum. Wie immer, wenn er diesen seltsamen Blick aufsetzte, was leider recht häufig vorkam.
Verdammt!
Als aus dem eisigen Januar ein frostiger Februar wurde, begann Stevie, auf den Frühling zu hoffen.
Ziemlich früh, ja, doch mittlerweile fühlte sich ihr Bettzeug dauerklamm an und daher blieb ihr nur noch das: Hoffnung.
Die starb bekanntlich zuletzt.
Neuerdings ging Mr. Rogers vermehrt auch unter der Woche aus. Dem hätte sie nicht die geringste Beachtung geschenkt, wäre er ihr nicht eines Abends über den Weg gelaufen, als sie gerade aus dem Gebäude trat. Sein Grinsen gestaltete sich so ganz anders, als sonst und die Augen blitzten interessiert. Überhaupt wirkte er völlig verändert. Der private Rogers ließ unter Garantie nichts anbrennen, so viel war sicher. Momentan wirkte er wie der Womanizer schlechthin. Sein Lächeln übrigens auch.
»Ahhh, Miss Grace. Sie gehen nach Hause?«
»Ja, Sir.«
Das Lächeln wurde breiter und Stevie immer verwirrter. Schließlich reichte er ihr die Hand – was sonst mit Sicherheit nicht seiner Angewohnheit entsprach - und nickte. »Einen schönen Abend, Miss Grace.«
»Danke ...«, erwiderte sie verdattert und blickte ihm nach, als er sich zu seinem Wagen begab. Okay ...
In schlichtem Hemd und Hose – seiner üblichen Arbeitskluft - sah er fantastisch aus, aber jetzt wirkte er perfekt.
Einen maßgeschneiderten Anzug erkannte Stevie, wenn sie ihn sah. Zu dessen Lebzeiten hatte sie ihren Dad nie anders erlebt, wusste allerdings von einigen miesen Dates, wie schlecht die Dinger saßen, wenn sie von der Stange stammten.
Seine sportliche, schlanke, große Gestalt wurde von dem fließenden Stoff unterstrichen. Die graue Krawatte passte farblich blendend zu dem cremefarbenen Hemd, das Haar lag wie immer ausgezeichnet.
Auch eine männliche Schönheit identifizierte Stevie, wenn die sich ihr präsentierte. Zweifellos gehörte Rogers in diese Kategorie, wenngleich er nicht dem gängigen Ideal entsprach. Seine Ausstrahlung war umwerfend. Klasse! Sie beglückwünschte ihn ganz ehrlich dafür, selbst ein wenig Anerkennung konnte sie in sich ausmachen. Warum nicht? Doch in Wahrheit beunruhigte sie sein Verhalten und das nicht erst seit heute.
Keineswegs waren ihr nämlich die blitzenden Augen entgangen, die Mitte Dezember ihr Comeback gegeben hatten. Gleiches galt für seinen Blick, der manchmal auf ihr lag, wenn er sich unbeobachtet wähnte. All das stank grauenhaft nach genau den Komplikationen, die sie unbedingt vermeiden wollte! Dieser Mann sollte sie weder derart ansehen, noch zu einer Reaktion provozieren wollen, indem er ihr demonstrierte, wie verdammt gut er doch aussah!
Ihre Taktik, für so unheimlich schlau und innovativ gehalten, schien ihn tatsächlich nur weiter
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