Erstens kommt es anders ... (German Edition)
machte. Seine Absicht, in diesem Jahr nicht zu verschwinden, wurde mit allgemeiner Freude aufgenommen. Mrs. Rogers gebärdete sich, als handele es sich um den ersten Ball, den sie ausrichtete. Was sie vermutete, ahnte Michael, aber er brachte es nicht übers Herz, sie über ihren fatalen Denkfehler im Vorfeld aufzuklären. Mit Sicherheit würde er nicht seine Verlobung mit Renata bekannt geben, andere Überraschungen welcher Art auch immer, waren auch nicht geplant. Mit einer Ausnahme.
Und genau aus diesem Grund nahm Michael erstmalig in seinem Leben mit absoluter Freude an dem aufgesetzten Event teil.
Kaum fuhr der Wagen vor und sie stieg aus, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er einem ziemlich idiotischen Irrglauben aufgesessen war.
So, wie es seine Angewohnheit war, hatte Michael versucht, sich das Bevorstehende auszumalen. Nur um gewappnet zu sein, wenn sie plötzlich nicht in Bluse und Rock oder Jeans und Sweatshirt vor ihm stand. Doch es hatte nicht funktioniert, von Vorbereitung konnte keine Rede sein. Wie hätte er sich auch auf eine Stevie einstellen sollen, die keine mehr war? Übrigens auch keine Miss Grace, nein, ganz bestimmt nicht.
Was dort aus dem Wagen stieg, entsprach der schönsten Frau, die Michael jemals gesehen hatte. Und das sollte für einen Mann, der in die gehobenen Gesellschaftskreise hineingeboren worden war, tatsächlich einiges heißen.
Sie war von Kopf bis Fuß eine Lady.
Nicht zufällig, weil sie sich für diesen Abend mit viel Mühe zurechtgemacht hatte, vielleicht mit einem Kleid vom Kostümverleih und etwas mehr Make-up als üblich. Diese Frau war mit jedem Zoll anerzogene, beherrschte, vollkommene Klasse. Ihr apricotfarbenes Kleid - zweifellos eine Maßanfertigung – unterstrich auf atemberaubende Weise die feinen Formen ihres Körpers. Das Make-up war perfekt auf die Farbe des Kleides und ihren blassen Teint abgestimmt. Ihr kunstvoll hochgestecktes warmes, blondes Haar vermittelte den Eindruck, sie wäre viel größer, als es tatsächlich der Fall war. Die aufrechte Haltung war beispielhaft, der Gang selbstbewusst und dennoch anmutig. Bis hin zu den goldenen Riemchensandalen demonstrierte sie überirdische Makellosigkeit.
Diesmal genoss Michael die männlichen Köpfe, die sich automatisch in ihre Richtung wandten und die begehrlichen Blicke, denen keine ihrer Bewegungen entging. Denn ausschließlich ihm galt ihr Lächeln, und er ahnte, dass er an diesem Abend gleichzeitig den glücklichsten und meist gehassten Mann in der Stadt gab, wenn nicht im gesamten Bundesstaat.
Selten zuvor hatte er sich so gut gefühlt.
Auf dem roten Teppich, der von der Auffahrt zum Haus führte, trat er ihr entgegen. Souverän, selbstbewusst, ohne die geringste Unsicherheit, verzog sich ihr Mund zu einem strahlenden Lächeln.
Er nahm ihren Arm und geleitete sie zur breiten Freitreppe. »Zwei Dinge«, bemerkte er verhalten.
Fragend hoben sich ihre Augenbrauen.
»Heute ist Freitag ...«
Zum ersten Mal erkannte er hinter dieser Diva seine Stevie, denn sie zog die Nase kraus. »Ist mir bekannt.«
»Zwei Stunden ...«
Erst, als sie bereits ihren Mantel abgelegt hatte und Michael sie zum Eingang des Ballsaals führte, sah sie ihn wieder an. »Okay.«
Ein Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. »Fein.« Dann neigte er sich zu ihr hinab. »Du siehst umwerfend aus.«
So sah sie nicht nur aus, sie verhielt sich auch entsprechend.
Im Verlauf des Abends fragte Michael sich immer häufiger, wer um Himmels willen diese Frau an seiner Seite war. In gewisser Hinsicht erschien sie ihm völlig fremd. Auf jeden Fall war sie nicht seine Stevie, das hatte er sehr schnell begriffen. Schon, weil sie sich weder im Kino, noch im Pub und auch nicht auf ihrer Parkbank befanden. Frierend, aber dennoch irgendwie glücklich.
Hier wandelte soeben die offizielle Ausgabe Stephanie Grace‘.
Weltgewandt, zeigte sie perfekte Umgangsformen, gebärdete sich reizend, charmant und plauderte unbefangen und versiert mit jedem Gast, zu dem Michael sie führte. Keineswegs offenbarte sie Schüchternheit oder errötete möglicherweise sogar. Sie sprach in angemessener Lautstärke, ihr Ton trug genau die richtige beiläufige Nuance.
Die vollkommene Dame von Welt.
Und niemand, dem sie begegneten, schien infrage zu stellen, dass sie und Michael zusammengehörten.
Nun, beinahe niemand.
Denn als er mit der üblichen Familienführung begann, fielen die Reaktionen recht interessant aus. Diana hielt sich abseits von ihren
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