Ertränkt alle Hunde
Nacht
Vom schönen, herrlichen Antlitz meines Vaterlands.
O Irland! Siehst du nicht grandios aus –
Wie eine Braut in ihrem prächtigen Schmuck?
Und mit all der aufgestauten Liebe meines Herzens
wünsche ich dir top o’ the mornin’!«
»Das ist ein ziemlich schönes Gedicht, Sir.«
Cavanaugh drehte sich zu ihr um. »Es ist von John Locke, einem Sohn von Kilkenny. Als wär’s ein richtiges Tischgebet, hat es meine Mutter jeden Morgen am Frühstückstisch gesprochen. Sie glaubte, es würde den Tag aufheitern.«
»Nun, es ist wirklich schön«, sagte Thelma wieder, ein wenig beklommen.
Cavanaugh kehrte an seinen Schreibtisch zurück und setzte sich.
»Ich schreibe eine äußerst wichtige Mitteilung, Thelma. Wenn ich fertig bin, muß sie persönlich zugestellt werden.«
»Sehr wohl, Sir. Ich werde mich selbst darum kümmern.«
»Vielleicht sollten Sie wissen, um was es in diesem Brief geht.«
»Sir?«
»Es geht dabei um den Gott der Ironie. Zumindest ist es dieses Gottes Hand, die mich beim Schreiben führen wird. Glauben Sie an einen solchen Gott, Thelma?«
»Ich bin katholisch...!« Thelma bekam einen roten Kopf. »Und gläubig, Sir.«
»Wunderbar. Wenn Sie im Himmel Ihre Erlösung finden, dann legen Sie bitte für mich und meine Kameraden beim Heiligen Vater ein gutes Wort ein. Erklären Sie ihm, daß wir niemals das Martyrium seines eingeborenen Sohnes beleidigen wollten, weswegen wir einige krasse Sünden begangen haben.«
»Blasphemie!« schrie Thelma und schlug beide Hände vor ihrem erregten Gesicht zusammen. Der Diktatblock fiel zu Boden.
Cavanaugh ignorierte den Gefühlsausbruch und fuhr fort: »Inzwischen können Sie weitermachen. Kommen Sie den Brief in fünfzehn Minuten holen, und bitte machen Sie die Tür fest hinter sich zu, wenn Sie gehen.«
Thelma hob den Block auf und flüchtete.
Der Gott der Ironie.
Er dachte: Hier bin ich nun in den letzten Minuten meines geheimnisvollen Lebens, ein alter Mann, der plötzlich die Sprache wiedergefunden hat für ein Gedicht aus seiner Kindheit. Top o’the mornin ’- Einen wunderschönen guten Morgen. Allerdings, wie vorausschauend. Wie sehr ähnlich Peep o' Day! Der Gott der Ironie war früh am Werk gewesen im Leben von Peadar Cavanaugh.
Auch dachte er an die Begegnung des gestrigen Tages mit Aidans Sohn. Wie bemerkenswert die Ähnlichkeit zwischen den beiden! Indem er einfach mit dem Jungen zusammensaß, hatte Cavanaugh die Zeit in sich zusammenbrechen gespürt.
Als der Junge die Worte auf der Rückseite von Aidans Soldatenfoto rezitiert hatte, zog er einen Moment lang in Erwägung, ihm die Wahrheit über seinen Vater zu sagen - und über die große Bewährungsprobe seiner Zeit. Er schien es so zu wollen. Doch statt dessen hatte er ihm gesagt, er solle bitte nach Hause, nach New York zurückkehren.
Rührte dies von Barmherzigkeit oder Feigheit her? Oder geschah es aus Respekt vor dem Geist der teuren Mairead? War Unwissenheit des Jungen nicht ihr Lebenswunsch gewesen? Und hatte er der Familie des Jungen nicht schon genug angetan?
Er schüttelte sich, als wäre ein jäher, kalter Wind durch das Fenster hereingefahren. War es der Atem des Teufels?
Schon bald würde er ein Geist sein. Aber - eines blieb noch zu tun!
Cavanaugh erhob sich von seinem Schreibtisch und durchquerte das Büro zu einer Fotosammlung an der Wand. Auf allen war der einfache Bursche aus Kilkenny zu sehen, der als Erwachsener Kanzler des Trinity College wurde, in Dutzenden von Posen, wie er den Würdenträgern der Welt die Hände schüttelt. Er nahm das Foto von sich und Yeats herunter und kehrte an den Schreibtisch zurück.
Er öffnete den Rahmen, nahm die alte Aufnahme heraus und untersuchte deren Rückseite. Dort standen in blauer Tinte, von Yeats persönlich appliziert, die Worte: Schmiedet euer Denken zu Einigkeit. Cavanaugh faltete das Foto zweimal und stopfte es in den Umschlag.
Dann krempelte er den linken Jackenärmel hoch und schlug die Manschette um.
Er nahm das Rasiermesser in die Hand und stach auf sein Handgelenk ein, bis die Haut aufbrach und heißes Blut heraussprudelte.
Cavanaugh legte das Messer fort und nahm den Federkiel. Den Kiel tauchte er in den nun steten Blutschwall und adressierte den Umschlag. Oliver Gunston, c/o The Irish Guardian, Grafton Street, Dublin.
Dann begann er, auf dem Briefbogen zu schreiben, tauchte den Kiel in seinen allmählich weiß werdenden Arm:
Mein lieber Oliver!
Ich bin ein Wahnsinniger von einigem Format - und, wie
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