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Ertränkt alle Hunde

Ertränkt alle Hunde

Titel: Ertränkt alle Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Adcock
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vorn und drehte sich so blind wie eine Billardkugel, die verstoßen worden war. Mehrere wie eine Ewigkeit erscheinende Sekunden kollidierten wir mit anderen Autos und Lastwagen, bis schließlich alles mit einem Ruck zum Erliegen kam. Dann herrschte Stille. Die Stille war entsetzlicher als der vorangegangene Lärm von aufreißendem Stahl und zersplitterndem Glas.
    Die Stille hörte schlagartig auf, als eine Menschenmenge die Bürgersteige verließ und zögernd durch die ineinander verkeilten Autos auf unseren Citroën im Epizentrum der Wracks zusteuerte. Vom Boden kam Rubys verängstigte Stimme: »Hock, sei vorsichtig!« Ich kniete mich hin und beugte mich über den Sitz, berührte ihre Schulter und hob dann den Kopf, um einen Blick auf die Straße zu riskieren.
    Die Menge drängte sich jetzt von allen Seiten um uns. Irgendwo hinter den beschädigten Autos lagen zwei Bewaffnete auf der Straße. Der dritte Mann, der Schütze, war zweifellos längst spurlos verschwunden.
    Wieder berührte ich Ruby und sagte: »Die Luft ist rein. Mit dir alles in Ordnung?«
    »Ich glaube schon.« Ruby hatte sich während der Belagerung schützend zusammengerollt. Die Knie gebeugt, Hände und Arme über ihren Kopf gelegt. Jetzt erhob sie sich wieder. Sie betastete Schrammen an Stirn und Handgelenk. Für die ich verantwortlich war. Sie sah mich an und sagte: »Du bist weiß wie Kleister und zitterst, weißt du das?«
    Es stimmte. »Ein Drink könnte uns beiden jetzt nicht schaden«, sagte ich.
    Ausnahmsweise pflichtete Ruby mir bei.
    Dann sah ich mir die mit großen Augen dastehenden Leute an, die sich um den Citroen drängten. Sie sahen weniger mich an oder Ruby, die sich gerade wieder aufrichtete und setzte. Es war vielmehr Francie Boylan, der ihre gesamte Aufmerksamkeit erhielt und sie nach Luft schnappen ließ. Sie sahen aus, als brauchten sie viel eher einen Drink als wir.
    Was von Boylans Kopf noch übrig war, war über die Seitenscheibe auf der Fahrerseite verspritzt, wie die Überreste einer Melone, die gegen eine Wand geschmissen worden war. Sein Ohr war weggeblasen worden, ersetzt durch ein nässendes Loch von etwa der Größe und Form einer Kaffeetasse. Eindeutig war dies eine durch Dumdum-Geschosse verursachte Wunde, die bevorzugte Munition eines Attentäters, der seinen Job aus kürzester Entfernung erledigen will. Genauso offensichtlich waren diese Kugeln in New York erheblich verbreiteter als in Dublin.
    Schließlich richtete auch Ruby ihren Blick auf Boylan. Sie bedeckte ihren Mund, dann wendete sie schnell den Kopf ab und sagte: »Mein Gott, Hock - was ist das, was passiert hier?«
    Ich kannte die Antwort, konnte es aber noch nicht aussprechen. Ich starrte das Meer irischer Gesichter an - entsetzte, erschütterte Gesichter hinter von Kugeln zerschmetterten Autoscheiben.
    Und einen flüchtigen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, als schliefe ich. Schlief in einem von Kugeln durchsiebten Citroën; immerhin auf der O’Connell Street und unter der Last ihrer schrecklichen Geschichte. Ich schlief nicht zu Hause, war nicht in diesem vertrauten, ruhelosen Zustand, in dem ich den Geist meines Vaters hören kann. Aber nichtsdestoweniger schlafend, als wäre mein Kopf unter Wasser getaucht; als befände sich plötzlich eine Distanz zwischen mir und der lauten, ausgelassenen Welt über mir und existiere losgelöst von dem Gedränge und der Verwirrung der O’Connell Street, deren Lärm nebensächlich war gegenüber den geheimen Lauten unter der Oberfläche dessen, was ich lediglich sehen konnte.
    In diesem Schlaf eines Augenblicks stellte ich mir andere irische Stimmen vor, die irgendwo in der Zeit durch die Pubs und Salons von Dublin trieben. Ruhige, aufschlußreiche Stimmen, die Rubys völlig normaler Frage einen Sinn verliehen. Ich lauschte wie zu schlafenden Freunden des Geistes meines Vaters.
    Ruby fragte wieder: »Was passiert hier -?«
    »Gottverdammte Politik«, antwortete ich.

    Eamonn Keegan, der Chef der Dublin Garda, war ein gepflegter, fetter Mann, wie geboren für den gewaltigen Eichenschreibtisch, der sein Büro in zwei ungleiche Reiche teilte: seine eigene barocke Fülle, die Orientteppiche, das Mahagoni und rote Leder, die Keegans Seite der Dinge freundlich machten, im Gegensatz zu zwei mickrigen Stühlen auf einem Flecken nackten Holzfußbodens, auf denen Ruby und ich saßen wie zwei randalierende Sträflinge, die zu einer Audienz beim Gefängnisdirektor am Genick hereingeschleift worden waren.
    Das war nicht

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