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Ertränkt alle Hunde

Ertränkt alle Hunde

Titel: Ertränkt alle Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Adcock
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herumkommandierten.«
    »Wer könnte das wohl gewesen sein?« fragte ich, als wüßte ich es nicht.
    »Die Engländer!« spie Boylan verächtlich aus.
    »Sie sind ein junger Mann, Francie, aber irgendwie besitzen Sie die nachtragenden Erinnerungen eines alten Mannes.«
    »Und schön sind sie auch nicht.«
    »Wie kommt das?«
    »Wir haben so eine Art, all das Böse nicht zu vergessen, das die Engländer uns angetan haben. Haben Sie schon mal etwas von einem shanachie gehört?«
    Ich verneinte.
    »Der shanachie ist ein Geschichtenerzähler. Sein Pap vor ihm war das gleiche, und der alte Herr seines Paps auch. Und so geht es durch alle Generationen einer shanachie-Familie zurück, durch all die Jahrhunderte, während deren die englischen Bastarde all ihre Verbrechen gegen uns verübt haben.«
    »Aber heute steht das doch alles in den Geschichtsbüchern«, sagte Ruby.
    Francie Boylan schüttelte den Kopf über soviel Unkenntnis und sagte: »Das kommt ganz drauf an, wer die Bücher schreibt und wer sie veröffentlicht, colleen. Pressefreiheit gehört denen, die reich genug sind, eine Presse zu besitzen. Ein armer Ire besitzt nur seine ihm von Gott gegebene Zunge. Nae, es gibt keinen besseren Weg, all das Grauen und Entsetzen zu verstehen, als dem shanachie zuzuhören, der einem die Wahrheit von Angesicht zu Angesicht offen erzählt.«
    »Sind Sie mit den Geschichten der shanachies aufgewachsen, Francie?« fragte ich.
    »Ich habe meinen Teil an Geschichten gehört.«
    Ich überraschte mich, indem ich sagte: »Vielleicht könnten Sie uns eine erzählen?«
    Boylan fuhr ohne ein Wort an den Straßenrand, wo er den Citroën zwischen zwei kleinere Wagen zwängte. Gegenüber der Stelle, an der wir nun saßen, stand ein wuchtiges, offiziell wirkendes Gebäude mit Steinsäulen am oberen Ende der Marmorstufen. Menschen strömten durch die riesigen Eingangstüren hinein und heraus. Boylan stellte den Motor ab und zog die Handbremse, dann drehte er sich zu uns um.
    »Warum halten wir?« fragte ich.
    »Damit ich die Geschichte richtig erzählen kann, Mr. Hockaday.«
    »In Ordnung.«
    Wieder einmal holte Francie Boylan tief Luft und grub noch tiefer in seinen Erinnerungen: »Es war im sechsten Monat der großen Hungersnot, die durch die Kartoffelfäule verursacht worden war, und die Hälfte der irischen Nation war obdachlos, und die meisten hungerten. Diejenigen in den Dörfern, die zu stolz waren, vor aller Augen auf den Straßen zu sterben, verkrochen sich in den Torfmoorhöhlen und gruben sich in den feuchten Boden, wo sie in würdevoller Einsamkeit auf den erlösenden Tod warteten. Überall verstreut auf den verseuchten Feldern lagen tote Kinder wie die Soldaten einer verlorenen Schlacht, mit aufgedunsenen Bäuchen und bis auf die Rippen abgemagerten kleinen Brustkörben, die Lippen grün, weil sie am Ende Gras gekaut hatten. Familien, oder was noch von ihnen übrig war, lagen den ganzen Tag in ihren Lumpen und in fiebrigem Gestank herum, klammerten sich aneinander, stöhnten vor Schmerz durch Skorbut und Wassersucht, die Körper übersät mit wunden Stellen.
    Und das alles, während die englischen Grundbesitzer und Herren des Landes mehr und mehr Zwangsräumungen anordneten in allen Countys, in denen die Bauern, die Pächter es sich nicht mehr leisten konnten zu zahlen, wo sie sich doch um das Geschäft des Verhungerns kümmern mußten.
    Im County Galway, im Dorf Ballinglass, rief am dreizehnten März des Jahres 1846 eine englische Hündin namens Mrs. Gerard eine Abordnung der Fortyninth Infantry von der Royal British Army, kommandiert von Captain Brown, sowie die örtliche englische Polizei und befahl, daß etwa dreihundert Bauern ihre Häuser zu verlassen hätten - damit das Land von den Menschen, die es zu ihrem Lebensinhalt gemacht hatten, geräumt und in gewinnbringenderes Weideland für Rinder verwandelt werden konnte.
    Die englischen Truppen gingen mit einer solchen Bösartigkeit vor, die Satans Herz erfreut haben müßte. Sie vernichteten noch die erbärmlichste Hütte; sie setzten strohgedeckte Dächer in Brand und rissen die schiefergedeckten herunter und schlugen die Schieferplatten in Stücke; sie rissen die Wände nieder, sie zerstampften den Besitz einer Familie unter den Hufen ihrer Pferde. Die Frauen rannten völlig von Sinnen herum und schrien und jammerten, und wer noch nicht von berittenen Soldaten brutal zur Seite gedrängt worden war, verbarrikadierte die Türen und schrie wie Banshees, wie Todesfeen. Jeder

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