Ertränkt alle Hunde
schickte er jede Woche einen Scheck, ausgestellt auf ein Konto bei der Bank of Ireland. Aber das war allgemein üblich; selbst ein in bescheidenen Verhältnissen lebender Ire sorgte für eine regelmäßige Unterstützung der Witwe seines Bruders. Als ich noch ein kleiner Junge war, wurde der Scheck auch dringend benötigt, doch weder verriet die Höhe des Betrages je das imposante Haus, in dem er ausgestellt und unterzeichnet worden war, noch brachte Onkel Liams Erscheinungsbild oder sein Auftreten jemanden in New York auf den Gedanken, daß er mehr sein könnte, als er sagte: ein pensionierter Hafenarbeiter aus Dún Laoghaire.
Das letzte Mal hatte ich Liam Hockaday vor fast zwanzig Jahren gesehen, in jener ersten Dezemberwoche, in der meine Mutter starb. Jetzt mußte ich wieder an ihn denken, wie er damals vor dem offenen Grab auf dem St. John’s Cemetery in Queens neben mir gestanden hatte; ich in meiner adretten blauen Uniform als frischgebackener Polizist, er mit seinen abgewetzten braunen Schuhen, dem nach Tabak stinkenden Tweedanzug und der schwarzen Regenjacke; wie er sich bekreuzigte, mit feuchter Nase und Tränen in den Augen, rote Rosen in ihre letzte Ruhestätte fallen ließ und etwas auf Gälisch flüsterte, wobei sein von Whiskey geschwängerter Atem kondensierte und in der naßkalten grauen Luft tanzte.
... Und wer noch befand sich in der winzigen Gruppe, die sich von ihr verabschiedete? Father Tim, der a cappella ein eucharistisches Kirchenlied sang und Weihwasser auf den lackierten Kiefernsarg spritzte. Zwei anonyme Totengräber in Parkas und Stiefeln, Tränen und Verlust ebenso gewohnt wie Nebel und feuchte Erde. Und mein ernst dreinschauender Rabbi, Davy Mogaill...
»Komm, laß uns reingehen«, sagte Ruby und nahm ihre Tasche in die Hand.
»Ich hab das Gefühl, als sollte ich eigentlich ein Hühnchen unter dem Arm haben«, sagte ich.
»Hä?«
»Es gibt da ein irisches Klischee, das ich mein ganzes Leben lang gehört habe. Es geht dabei um einen entfernten Verwandten, der eines Tages von irgendwo draußen auf dem Land hier im County Dublin auftaucht und fest davon überzeugt ist, daß ein mageres, frisch geschlachtetes Hühnchen in einem Sackleinenbeutel eine angemessene Gegenleistung für die Wochen ist, die er auf deine Kosten essen und schlafen und trinken wird.«
»Solche entfernte Verwandte haben wir in Louisiana auch. Keiner von denen ist Ire, und manche verzichten auch gleich noch auf das Hühnchen.« Ruby setzte sich Richtung Haus in Bewegung. Ich nahm die beiden verbleibenden Taschen und folgte ihr. Sie sagte: »Wir sind jedenfalls eingeladen, du erinnerst dich?«
... Eingeladen von Patrick Snoody, dem »treuen Freund« meines Onkels. Der überrascht zu sein schien, uns beide zu sehen, als er die große georgianische Tür auf unser langes Läuten hin öffnete.
»Wie sind Sie hier angekommen?« fragte er und sah dabei über meine Schulter die Ladbroke Street hinauf und hinunter.
Da war nur ein Fahrradfahrer. Snoody schirmte mit einer Hand die Augen gegen die Sonne ab und schaute zu, wie das Fahrrad Richtung Bay den Hügel hinunter verschwand.
»Wir sind mit dem Intercity die Rüste runtergekommen und haben dann am Parnell Square am Hafen ein Taxi genommen«, sagte Ruby und deutete in die gleiche Richtung, in die auch Snoody schaute.
»Trotzdem vielen Dank, daß Sie uns Francie Boylan geschickt haben«, sagte ich.
Snoody schüttelte seinen mächtigen grauen Kopf und sagte: »Ich habe es schon gehört.« Er machte keinerlei Anstalten, für uns zur Seite zu treten. So groß und breit die Tür auch war, mit seinem beträchtlichen Leibesumfang füllte Snoody sie beinahe ganz aus. Er trug einen gutgeschnittenen Anzug, und seine Sprechweise verriet, daß er in einer Zeit gute Schulen besucht hatte, als die Menschen den Wert der Sprache noch zu schätzen wußten, und dies war nicht weniger imposant als seine körperliche Erscheinung.
»Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn wir jetzt hereinkommen und meinen Onkel begrüßen, oder?« sagte ich.
»Tut mir schrecklich leid«, sagte Snoody. »Was bin ich doch für ein Banause. Bitte, so treten Sie doch ein.«
Dann durften wir an ihm vorbei eine rechteckige Eingangshalle mit gefliestem Boden und Mahagonitäfelung betreten. Eine geschwungene Treppe befand sich am anderen Ende der Halle, die noch ein Stück weiter ging. Türbogen an beiden Seiten führten in zwei stattliche Wohnzimmer, das eine dunkel und unordentlich, das andere sonnig
Weitere Kostenlose Bücher