Erwachen
schmollen. Die Augenbrauen über diesen schönen grauen Augen verliefen in symmetrischen Bögen und forderten mich auf, die Hand auszustrecken und sie mit meinen Fingerspitzen nachzuzeichnen.
Das tat ich selbstverständlich nicht. Ich wollte ihm keine Schmerzen zufügen, ich wollte ihn nicht vor all den anderen Geschöpfen berühren und ich wollte mir nicht eingestehen, dass seine Ausstrahlung mich augenblicklich gefangen hielt. Ich wollte seine Schmerzen lindern, wie er meine auf eine unerklärliche Weise verscheucht hatte.
Obwohl er den gleichen Namen wie mein Emrys trug, so sah er absolut nicht aus wie dieser. Sie hatten in etwa die gleiche Größe, auch die gleiche sehnige, aber attraktive Statur, doch die Gesichter unterschieden sich zu sehr von einander, als dass ich hätte glauben können, die Äußerlichkeiten würden mich an Emrys Caughleigh erinnern und somit meinen Drang nach seiner Nähe erklären.
Stumm blickten wir uns an, als ich Patricia sagen hörte:
„Carys Olwyn, du wirst dich Emrys annehmen, ja? Zeig ihm alles und gib Acht, dass wirklich niemand herauszufinden versucht, ob er tatsächlich Anfälle bekommt, wenn man ihn berührt.“
„Ja, Mutter“, entgegnete ich, ohne meinen Blick von ihm abzuwenden.
„Ceridwen“, Patricia strahlte meine Freundin an. „Dougal ist deine Bestimmung. Zeig ihm sein neues Heim!“ Dann wandte sie sich an die übrigen:
„Macht euch nützlich! Heute Abend wird es zwei herausragende Rituale geben!“
Panik schoss durch meinen Körper, doch ich konnte mir den Grund dafür nicht erklären. Ehe ich wusste, was ich sagte, da hatte ich es schon ausgesprochen:
„Gwydion soll mein einziger Zeuge sein, wenn ich Emrys Norrington prüfe.“
Patricia zuckte die Achseln. „Ganz, wie du meinst, meine Liebe.“
Ich sah Emrys wieder an, musterte ihn ein weiteres Mal, um herauszufinden, warum er mich so sehr in seinen Bann zog.
Wir waren nun allein in der Halle und ich trat ganz nah an ihn heran. „Hast du Angst?“ fragte ich ungläubig, als ich es in seinen Augen erkannte und er den Atem anhielt. „Du erinnerst mich an einen Emrys, der hier einst gelebt hat. Ich habe ihn vergöttert“, gestand ich. „Und er war so still wie du, als ich ihn kennenlernte.“
Emrys Norrington war wie versteinert, zuckte nicht, blinzelte nicht. Nur der Schmerz in seinen Augen verriet, dass er zu tiefen Empfindungen fähig war.
„Ich bin eine Thrylia, Emrys Norrington. Ich bin geboren, um Gutes zu tun. Du musst mich nicht fürchten. Ich bin keine kleine verwöhnte Königstochter, die sich alles nimmt, das sie will, und zickig mit dem Fuß aufstampft, weil sie es nicht bekommt.“
Ein leichtes Lächeln umspielte nun seine Lippen und ließ sein Gesicht noch schöner erscheinen.
Mir stockte der Atem. Er hatte dasselbe Lächeln. Das konnte nicht sein! Ich musste sichergehen, musste ausschließen, dass dies vor mir Emrys Caughleigh nach seiner Wandlung war. „Darf ich an dir riechen?“ fragte ich mit zitternder Stimme.
Sollte er mich für vollkommen verrückt halten, so ließ er sich dies nicht anmerken, als er ohne zu zögern nickte.
Ich beugte mich zaghaft weiter vor, und noch ehe ich meine Nase an seinem Mantel vergrub, wusste ich, dass ich den Verstand verloren hatte. Es war Emrys! Es war mein Emrys! Niemals im Leben würde ich diesen Geruch vergessen.
Zitternd trat ich einen Schritt zurück und versuchte zu ergründen, wie er es geschafft hatte, nun lebendig vor mir zu stehen.
Wenn ich Emrys erkannt hatte, dann war es nur eine Frage der Zeit, bis auch seine Mutter ihn erkennen würde. Sie durfte sich nicht allzu sehr mit ihm befassen. Ich musste dafür sorgen, dass niemand erfuhr, dass mein Liebster zurückgekehrt war.
Warum nur schien er mich nicht wiederzuerkennen? Wo kam er her? Wo war er gewesen?
„Dougal sagt, du hast monatelang an einem Nervenfieber gelitten?“
Emrys nickte.
„Kannst du dich an etwas erinnern, das vor diesem Fieber war?“
Sein Gesicht verdunkelte sich, als er den Kopf schüttelte.
Ich versuchte zu lächeln. Dieses Fieber, wie Dougal es nannte, hatte Emrys die Vergangenheit vergessen lassen. Ein Schmerz war noch da, aber er erinnerte sich nicht an sein gelebtes Leben – nicht einmal mehr an mich.
Aber er lebte, und er war zu mir zurückgekehrt, wie er es in meinem Traum prophezeit hatte.
Nun lächelte ich wirklich, denn ich war so glücklich wie schon sehr lange nicht mehr.
Gwydion sah mich nachdenklich und stumm
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