Erwachen
lügen. Aber letztendlich wusste er ja doch, wer ich war - welcher Kö rp er und welche Seele. Es war sinnlos, mein Geheimnis weiter wahren zu wollen. Und vielleicht konnte ich ihm dafür, dass ich ihm seinen Verdacht bestätigte, ein paar Informationen entlocken.
Wir waren inzwischen bei einem Marmormausoleum angelangt, das im orangefarbenen Licht der untergehenden Sonne glänzte. Ich blieb stehen und sah ihn an. »Wie hast du meinen Namen rausbekommen?«
In seinen Augen flackerte plötzlich etwas Dunkles auf, als hätte er soeben eine herbe Enttäuschung erlebt. »Du gehörst mir, weißt du noch?« Er klang bitter. »Wir haben es beide gesehen. Die Lilien im Blut. Ineinander verschlungen, du und ich.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nette Geschichte, sie stimmt nur nicht. Auf die Art könnte niemand einen Namen in Erfahrung bringen.«
»Vielleicht nicht. Aber da war auch noch die Tätowierung auf deinem Rücken - der Künstler hat mir an jenem Abend bereitwillig davon erzählt, vor allem, nachdem ich ihm einen Fünfziger rübergeschoben hatte. Darf ich sie mal sehen? Seiner Beschreibung nach muss sie echt was Besonderes sein.«
»Leck mich.«
»Nur zu gern.«
Meine Güte, war er charmant! So charmant, dass ich nicht wusste, ob ich ihn flachlegen oder ihm einen Tritt versetzen sollte.
Eines aber wusste ich: Ich hatte keine Angst vor ihm. Und das erschreckte mich direkt ein bisschen. Schließlich war er gefährlich. Und gefährliche Dinge kommen an einen heran, indem sie einen einlullen. Und sich dann anschleichen.
Das wusste ich nur zu gut, und Deacon schlich sich näher und näher heran.
»Eine Tätowierung beweist noch gar nichts«, flüsterte ich und versuchte verzweifelt, nicht die Kontrolle zu verlieren.
Deacon legte die Hand auf meine Taille. Ich zuckte zusammen, schob sie aber nicht weg. In die Augen sah ich ihm allerdings nicht. Ich wollte nicht an das Böse in ihm erinnert werden. Nicht jetzt. Nicht, wenn die Gefahr, die zwischen uns in der Luft lag, bereits genügend Funken stieben ließ, um Boston eine Woche lang hell zu erleuchten.
Er schob sich noch näher an mich heran und ließ die Hand unter meinen Mantel und zu meinem Bücken gleiten. Er drückte dagegen, aber die Tätowierung war bereits verheilt, und statt Schmerz spürte ich nur die Wärme seiner Hand. »Eine weiße Lilie«, sagte er. »Mit Blutstropfen. Und darunter in einer zierlichen Handschrift ein Name: Lily.«
Wir standen jetzt Hüfte an Hüfte, und mein Körper vibrierte vor Erregung. Ich spürte, wie Deacon hart wurde, und obwohl ich wusste, dass es verkehrt war, begehrte ich ihn rasend.
»Der Rest war dann einfach: Ich habe die Sterberegister durchgesehen und bin auf eine junge Frau gestoßen, deren Leiche heute beerdigt wurde.«
Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen traten - ganz schön bescheuert, schließlich war ich nicht richtig tot. Oder vielleicht doch.
»Lily.« Sein Atem an meinem Ohr ließ meinen Körper Funken sprühen, und ich musste mich zwingen, die Hand an meinem Messer zu lassen. Auf gefährliche Spiele konnte ich mich einlassen, aber die Kontrolle durfte ich nicht verlieren.
»Ganz schön weit hergeholt, von einer Tätowierung auf ein Begräbnis zu schließen.« Ich sah hoch, ließ den Blick über seine Augen gleiten und spürte, wie sich langsam eine Vision auftaute. Ich zwang mich wegzusehen, die Verbindung zu unterbrechen. Dorthin wollte ich nicht. Nicht jetzt. Nicht mit ihm.
»Eigentlich nicht«, entgegnete er. Falls er gespürt hatte, wie die Vision kam, ließ er es sich nicht anmerken. »Schließlich wusste ich, dass irgendwas anders war. Du bist nicht die Alice, die ich kannte. Alice hat mein Blut nicht ins Wallen gebracht wie du. Bei Alice hatte ich nie den Wunsch, sie gegen eine Wand zu pressen und tief in sie einzudringen.« Seine Stimme klang vor Begierde ganz rau. Er ließ seine Hand zwischen meine Schenkel gleiten, und ich zitterte, nicht nur unter seiner Berührung, sondern auch wegen dem, was er sagte.
»Und ich wollte sie auch nicht auf ein Bett werfen und jeden Zentimeter ihres Körpers liebkosen, bis sie für mich kommt.«
»Lass das!«, sagte ich, als sein Finger über die Haut oberhalb des Gürtels meiner Jeans strich. »Mach mich gefälligst nicht an. Das läuft nicht.« »Was läuft nicht?« Er nahm meine Hand, führte sie an seine Lippen und saugte an einer Fingerspitze.
»Es wird dir nicht gelingen, mich abzulenken«, behauptete ich trotz aller Gegenbeweise.
»Wirklich?
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