Erwachen
Arschloch sogar wirklich dealt«, fuhr Egan fort, als wäre ihm das gerade erst in den Sinn gekommen. »Aber nicht hier.« Er sa h mich durchdringend an. »So was lasse ich nicht zu, und das weißt du verdammt gut.«
»Ja natürlich«, entgegnete ich, als ob ich das wirklich wüsste. »Dann ging es also nicht um Drogen. Ging es irgendwie um schwarze Magie?«
Egan schüttelte den Kopf. »Das müsstest du doch besser wissen, Mädchen.«
Ich nickte. Clarence hatte mir erzählt, dass Egan sich mit Alice’ Mom gestritten hatte, weil sie sich mit schwarzer Magie eingelassen hatte. Dass die Kneipe als gefährlich galt, war für ihn in Ordnung, aber echte Gefahr - das ging zu weit.
»Also gut, was ist es dann? Was ist los?«
Jetzt sa h er mich wieder amüsiert an und schob feixend Gracie das Tablett mit den Drinks zu, wobei er es bewusst vermied, sie anzusehen. »Der Idiot hat sich beschwert, dass der Wagen, den ich ihm verkauft habe, nicht läuft. Dieser uralte Buick? Der kotzgrüne? Als er ihn abgeholt hat, lief er noch bestens, aber er will, dass ich ihm entweder das Geld zurückgebe oder ihm ein anderes Auto besorge, und …« Er zuckte mit den Schultern.
»Darum geht es? Um ein Auto? Und das ist es, was an dir nagt?«
»Du bist doch diejenige, die behauptet, mit mir würde was nicht stimmen. Ich selbst bin bloß genervt, weil ich mich mit lauter Idioten rumschlagen muss.«
Das klang logisch, und da ich an seinen Augen sah, dass er nicht log, kam ich mir ziemlich blöd vor. Doch dann lächelte er mich an und sagte: »Ich bin froh, dass du wieder hier arbeitest,
Alice. Es ist schön, wenn man Familie hat, die sich um einen sorgt.«
»Ja«, antwortete ich aus ganzem Herzen. »Das stimmt.«
Ich beugte mich über den Tresen und gab ihm rasch einen Kuss auf die Wange. »Ich bin spät dran. Ich muss los.«
Und zu spät war ich tatsächlich. Ich hätte bereits bei Zane sein, hart trainieren und im Ring Dämonen töten sollen. Zane behauptete, das diene dazu, mein Selbstvertrauen zu stärken und meine Fähigkeiten zu verbessern, aber ich wusste, es gab auch noch einen anderen Grand. Sie wollten, dass ich weiterhin dämonische Essenz in mich aufnahm. Clarence und Zane mochten zwar dauernd von »Abspalten« reden, aber es war klar, dass sie mich in Mordlaune halten wollten. Und das klappte am besten, wenn ich ständig ein bisschen Dämon in mich aufnahm.
Zynisch? Vielleicht.
Vielleicht hatte ich schon zu viele Dämonen abgeschlachtet.
Ich wusste es nicht.
Ich wusste nur, dass ich diese Dämonenessenz heute nicht brauchte. Immerhin ging ich zu meiner eigenen Beerdigung.
Am Gottesdienst nahm ich nicht teil. Ich wollte nicht hören, wie man Lobreden auf mich hielt. Wollte nicht sehen, wie wenige Leute in der Kirche saßen.
Und ich wollte mich nicht wie eine Heuchlerin fühlen, weil meine Familie für mich einen Gottesdienst abhalten ließ.
Meinen Glauben hatte ich schon vor langer Zeit verloren, hatte ihn zusammen mit meiner Mutter begraben. Es gibt keinen Himmel, hatte ich gedacht. Und keine Hölle. Und mit Sicherheit sieht kein Gott auf uns herab.
Es gibt nichts als Leere.
Jetzt wusste ich es besser. Aber nicht der Glaube hatte mich bekehrt, sondern die gnadenlose Realität. Ich wusste, dass in der Dunkelheit Monster lauerten. Und ja, ich hatte ganz schön
Angst. Nicht um mich mit meinen Superkräften. Aber um Leute wie Rose, denen Monster wie Johnson den Glauben ausgetrieben hatten und die unbedingt wieder den Weg ans Licht finden mussten, bevor die Finsternis sie endgültig verschluckte.
Die kleine Trauergemeinde am Grab löste sich bereits auf, als ich hinkam. Ich hielt mich etwas abseits, auch wenn ich die Einzige war, die wirklich hierhergehörte. Zunächst konnte ich nur Rose’ Rücken sehen. Aber dann drehte sie sich um, und ich stellte fest, dass sie nur noch Haut und Knochen war. Ich wusste, dass sie nichts aß. Mein Tod und ihre Erinnerungen saugten ihr das Leben aus. Ihre Haare hingen glanzlos herab, und selbst auf diese Entfernung konnte ich erkennen, dass ihre einst so schönen Augen stumpf und ausdruckslos waren.
Ich redete mir ein, dass die Zeit ihre Wunden schon heilen würde, schließlich war seit meinem Tod nicht mal eine Woche vergangen. Aber ich wusste, das war eine Lüge. Ich wollte ihr helfen. Wollte etwas Greifbareres tun als nur die Welt zu retten.
Ich wollte zu meiner Schwester gehen, obwohl ich gleichzeitig wusste, dass ich das nicht tun sollte. Mein Wunsch und mein
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