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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kenner
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wenn man einen amphibischen Mentor, der ausdrücklich kein Engel ist, auf dem Rücksitz seines Motorrads mitgenommen hat. Mein Leben war jetzt, Gott sei Dank, vollkommen.
    Eigentlich machte mir die Fahrt nicht viel aus. Sich auf dem Motorrad zu unterhalten, ist ausschließlich Notfällen vorbehalten, deshalb konnte ich ein bisschen Zeit mit mir selbst genießen. Genauer gesagt: Ein Genuss war es ab da, wo sich mein Verstand komplett mit unbedeutenden Themen beschäftigte. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass Clarence meine Taille dermaßen fest umklammern und ängstlich vor sich hinstammeln und gleichzeitig in meinem Kopf rumstochern konnte, aber ganz sicher war ich mir nicht.
    Statt mir über wichtige Dinge den Kopf zu zerbrechen, dachte ich an nichts. An den ruhigen Abend in Boston, die kühle Luft und den Fahrtwind im Gesicht. Eine Welt voller Möglichkeiten hatte sich mir aufgetan, und ich fühlte mich frei und glücklich.
    Zumindest ganz kurz fühlte ich mich glücklich. Dann setzten sofort wieder Schuldgefühle ein. Für mich hatte sich eine neue Welt aufgetan, aber Bose steckte immer noch im gleichen Loch - nur dass jetzt auch noch ihre Schwester tot war. Ich hatte versucht, sie zu beschützen, wie ich es versprochen hatte, aber die Umsetzung war lausig gewesen. Der einzige Vorteil war, dass Johnson ihr nichts mehr anhaben konnte. Aber sein Tod hatte sie letztlich auch nicht gerettet, sondern sie nur davor bewahrt, noch mehr Leid zu ertragen. Das hatte ich in ihren Augen gesehen.
    Meine Schuld war nur umso ausgeprägter: Obwohl ich um Rose weinte, vermochte ich das Schwindelgefühl nicht abzuschütteln, das mir sagte, dass ich hier richtig war, dass ich meinen Platz gefunden hatte. Dass ich endlich meine Berufung gefunden hatte und all mein Scheitern bald endgültig der Vergangenheit angehören würde.
    Der Auftrag war gefährlich, klar. Aber er war wichtig. Und abgesehen von der Tatsache, dass mir alles andere als wohl in meiner Haut war, war es doch ein schönes Gefühl, ich zu sein, selbst im Körper einer anderen.
    So schön, dass sich die Schuldgefühle nur so auftürmten.
    »Bieg hier ab«, befahl Clarence, als ich vor einer blinkenden Ampel das Gas wegnahm. Ich folgte seinen Richtungsangaben, bis ich schließlich in einer düsteren Gasse hielt. Die Mülltonnen quollen über mit stinkendem Unrat, und ich fragte mich, was wir an einem so düsteren Ort nur wollten.
    »Es ist Zeit, dich vorzubereiten«, sagte Clarence, drehte sich dann um und marschierte weiter die Gasse entlang. In Schlaglöchern hatte sich fauliges Wasser gesammelt, die Oberfläche war ölverschmutzt. Der Geruch nach Schimmel und Fäkalien hing zwischen den Ziegelmauern, und ich folgte ihm vorsichtig und hoffte, nicht in die stinkende Suppe zu treten.
    Ich folgte Clarence herzklopfend. Nicht weil ich zimperlich war, sondern aus einer Vorahnung heraus. Erst vor wenigen Stunden hatte ich mich in vergleichbaren Umständen befunden, und ich rechnete jede Sekunde damit, dass mich eine weitere Bestie aus dem Schatten heraus anfallen würde.
    Clarence eilte eine dunkle Straße hinab, bog dann wiederin eine Gasse ab, die bemerkenswerterweise noch dreckiger war als die vorherige. Ich suchte mir einen Weg um Haufen von Müll, Schutt und Abfällen und vermied es weitgehend, dabei Luft zu holen.
    Er bewegte sich schnell, umrundete den Haufen einer leicht grünen und sehr widerlichen Substanz und steuerte schließlich auf eine Stahltür zu. Er schob eine Metallplatte zur Seite, ein beleuchtetes Nummernfeld tauchte auf. »So, da wären wir.«
    »Hightech«, murmelte ich.
    »Hast du erwartet, dass sich die Tür kraft eines Wunders öffnet? Unser Gefecht mag ja himmlisch sein, unsere Mittel aber sind auf der Höhe der Zeit.«
    Er tippte eine Zahlenkombination ein, und die massive Tür schwang lautlos nach innen auf. Sie führte in einen kohlrabenschwarzen Korridor. »Sollen wir?«
    Widerstrebend folgte ich ihm. Das wenige Licht, das von draußen hereinfiel, wurde durch den dumpfen Schlag ausgelöscht, den die hinter uns zufallende Tür verursachte. Die Luft hier war abgestanden, kein Windhauch regte sich. Ich schluckte; meine Haut wurde plötzlich klamm, als mir einfiel, wie ich das letzte Mal in solch pechschwarzer Umgebung erwachte.
    Vielleicht war ich doch nicht so bereit, wie ich gedacht hatte.
    Vor mir hörte ich Clarence, dann das metallische Klicken, als der Schalter eines Sicherungskastens umgelegt wurde. Uber uns erwachte eine Reihe

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