Erwachen
ich gern. Du weißt, dass ich dich wie eine Tochter liebe. R achel genauso, auch wenn sie inzwischen ganz schön größenwahnsinnig ist. Deine Mom dagegen …«
»Was ist mir ihr?«
»Nichts da, oh nein! Davon fangen wir heute Abend nicht wieder an. Ist das klar?«
»Ja, Sir.«
»So, jetzt rauf mit dir, kümmere dich um die Gäste.«
Ich nickte und ging rasch zur Treppe, blieb aber stehen, als er mich beim Namen rief. »Ist noch was?«
»Ich bin einfach ein sentimentaler alter Dummkopf.«
Ich hatte keine Ahnung, was darauf von mir als Antwort erwartet wurde.
»Als du klein warst, bist du immer auf meinen Schoß geklettert. Du hast mir Geschichten erzählt - Dinge, die Leuten passiert waren, die du kanntest oder die du dir ausgedacht hattest -, aber ich wusste immer, dass du eigentlich von dir geredet hast. Du musstest das loswerden, und ich war derjenige, der deine Geheimnisse mit dir teilen durfte. Du hast mir auch von deinen hellseherischen Fähigkeiten erzählt, und das, obwohl du dich schier zu Tode geängstigt hast. Weil du dich darauf verlassen konntest, dass ich den Mund halten würde. Und dass ich dir helfen würde.«
Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen, unsicher, was ich dazu sagen sollte. Schließlich beschloss ich, es einfach zu riskieren. »Und ich habe dir erzählt, als sie aufgehört haben«, entgegnete ich und hielt den Atem an. »Gott sei Dank.«
Aber Alice hatte ihm nicht erzählt, dass die Visionen zurückgekehrt waren, und das stimmte mich nachdenklich. Warum war sie zu einem Dämon gerannt statt zu ihrem Onkel, der sie liebte? Und warum machte Rachel sich Sorgen, auf was Alice sich da eingelassen hatte?
Die einzig sinnvolle Antwort war, dass Alice mit schwarzer Magie rumspielte und sich von ihrer Familie abgewandt hatte. Durchaus nichts Außergewöhnliches. Nur dass Alice statt mit Drogen mit Dämonen rumspielte.
Ich musste annehmen, dass das zu ihrem Tod geführt hatte.
Sie hatte den falschen Weg eingeschlagen, den verkehrten Leuten vertraut.
Und einer von denen, denen sie vertraut hatte, war Deacon gewesen. Oder zumindest hatte sie ihm vertraut, bevor sie ihn versetzt hatte. Was also hatte sich geändert? Was hatte sie herausgefunden? Warum war sie nicht aufgekreuzt? Dass er ein Dämon war? Oder irgendetwas noch Bedrohlicheres?
Bei diesen Gedanken lief mir ein Schauder über den Rücken, aber ich konnte sie auch nicht wegschieben.
»Alice«, sagte Egan sanft und suchte meinen Blick. »Ich weiß, dass es mit uns beiden eine Zeit lang nicht gut lief, und als du letztes Jahr weggerannt bist, hat mir das schier das Herz gebrochen. Aber, Alice, du bist zurückgekommen. Und dann haben wir geredet, und letzte Woche habe ich geglaubt…«
»Was hast du geglaubt?«, flüsterte ich.
»Ich habe geglaubt, du würdest mich endlich wieder als Vater sehen. Jetzt dagegen … Nun, seit du neulich abends hier raus bist, hast du keine zwei Worte mit mir geredet. Ich habe keine Ahnung, ob du in Schwierigkeiten steckst oder was sonst los ist. Ich mache mir Sorgen, Alice, das ist alles. Ich mache mir Sorgen um dich.«
Ich hatte meinen richtigen Vater nie kennengelernt, und obwohl Joe seit meiner frühen Kindheit bei uns gewesen war, war da immer ein Loch in meinem Herzen geblieben. Und jetzt fand ich mich plötzlich in Egans Armen wieder, mein Gesicht ruhte an seiner Schulter, und ich atmete den Geruch von Bier und Fett ein, während er mir sorgenvoll auf den Bücken klopfte.
Er hatte es verdient, die Wahrheit zu erfahren, und ich wollte ihm am liebsten alles erzählen. Aber ein Teil von mir, für den ich mich im Stillen schämte, war auch froh, dass ich das Geheimnis für mich behalten musste. Denn nur dadurch war ich Teil dieses Lebens geworden - dieser Familie und dieser Freunde und das war wenigstens ein kleiner Ersatz für die Welt, die ich verloren hatte.
Und gleichzeitig lud ich mir mit diesem Geheimnis neue Schuld auf. Denn ich hatte noch mal eine Chance bekommen, ein neues Leben. Aber Rose, die zu beschützen ich versprochen hatte, steckte noch immer in dem alten fest.
21
»Bist du deswegen bis nach Irland geflogen. Kleine?«, fragte mich der Bär in den schwarzen Klamotten, als ich ihm das Guinness auf den Tisch stellte.
Ich schenkte ihm ein freundliches Lächeln, so eins, für das man ein gutes Trinkgeld bekommt. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.«
»Setz dich auf meinen Schoß, Schätzchen, dann verzeihe ich dir.«
»Die Sache ist nur, Schätzchen, wenn
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