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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kenner
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ich mich auf deinen Schoß setze, werde ich mir selbst das nie verzeihen.« Ich drehte mich auf dem Absatz um, während der Kumpel des Bären in schallendes Gelächter ausbrach und alle in Hörweite wissen ließ, wo er diesen frechen kleinen Mund am liebsten sehen würde.
    Mein Gott.
    Ich schminkte mir mein Trinkgeld ab, nahm an ein paar Tischen Bestellungen auf und ging zum Tresen. Egan war wieder zurück, und ich sah ihn voller Zuneigung an, froh, dass ich in diesem neuen Leben jemanden hatte, an den ich mich halten konnte. Wenn man es genauer betrachtet, wusste ich jetzt allerdings auch nicht mehr als vorher. Ich war immer noch ahnungslos, hatte keinen blassen Schimmer, wer Alice getötet haben könnte und warum. Ich hatte ein paar Fragen gestellt, mit Egans Antworten aber nicht viel anfangen können. Es gibt einfach keine elegante Methode, wie man jemanden bitten kann, einem zu erzählen, was man ihm alles gebeichtet hat. Ach, Onkel Egan, ich habe mein Gedächtnis verloren - worüber habe ich mir doch letzte Woche noch mal Sorgen gemacht? Das konnte ich ja wohl kaum bringen.
    Also hatte mich diese Begegnung auch nicht weitergebracht. Dennoch hatte ich etwas Wertvolles daraus mitgenommen, und als er mir jetzt zulächelte, fühlte ich mich wohl und sicher. Aber ich erinnerte mich durchaus daran, wie Bose geschaut hatte, als sie mich, Alice, von der Tür aus betrachtet hatte. Sie fühlte sich nicht wohl und sicher, und das angenehme Gefühl, das sich in mir ausgebreitet hatte, verwandelte sich in Schuld und Bedauern.
    Ich war für den vorderen Bereich des Pubs zuständig, Trish für den hinteren. Gracie war heute nicht da, sie hatte angerufen und gesagt, sie sei krank, wozu Egan nur spöttisch bemerkt hatte, am Telefon klänge sie ganz schön munter. Ich hatte mich gezwungen, möglichst ausdruckslos zu schauen, während ich mich gleichzeitig fragte, ob heute wohl das Vorstellungsgespräch für den Job war, den Alice für sie aufgetan hatte.
    Da wir nur zu zweit waren, rannten wir uns schier die Hacken ab. Das Bloody Tongue zieht die ganzen Arbeiter an, die um fünf Feierabend haben, und diese Meute fällt immer überaus hungrig und durstig dort ein. Jemand vom hinterem Bereich rief nach mir und bestand darauf, sie bräuchten sofort ihre Käsefritten, und ich sah mich verzweifelt nach Trish um.
    Sie war nirgendwo zu entdecken, aber kurz darauf ging die Küchent ü r auf, und sie stürmte völlig erschöpft herein. Der Lichtstrahl aus der Küche glitt über einen Zweiertisch in der Ecke. Als er das Gesicht des Mannes beleuchtete, der dort saß, blieb mir glatt der Atem weg: Deacon. Unsere Blicke trafen sich, und mein Magen vollführte eine dieser Schmetterlingsnummern, an die ich mich noch aus der Schule erinnere. Und genau wie damals in der Schule drehte ich mich sofort weg und rückte auf dem nächstgelegenen Tisch Salz und Essig gerade.
    Eine halbe Minute später wurde mir klar, wie idiotisch ich mich da gerade aufführte, und ich drehte mich wieder um. Er war weg.
    Als Trish an mir vorbei zum Tresen eilte, um ein Tablett mit Pints zu holen, zupfte ich sie am Ärmel und fragte: »Wo ist er hin?«
    Sie blinzelte mich an wie eine Eule, und ich konnte zusehen, wie ihr Gehirn die Frage langsam verarbeitete. Trish war eine prima Kellnerin, aber sie war eindeutig nicht die Hellste. »Wer?«
    »Tisch neun.« Unnötigerweise deutete ich in die Richtung. »Deacon Camphire.«
    Sie blickte über meine Schulter, dann wieder zu mir. »Da ist niemand.«
    »Das weiß ich. Aber …«
    »Wenn du es weißt, warum fragst du mich dann? Ich meine … komm schon, Alice! Ist ja schließlich nicht so, als hätte ich nichts Besseres zu tun, als hier rumzustehen und mit dir zu reden.«
    Und wisst ihr was? Genauso ging es mir mit ihr auch.
    Sie eilte davon, um die Meute zu befriedigen, und ich ging hinüber zu Tisch neun, um mich meinen Pflichten zu entziehen. Nach wie vor kein Deacon, aber der Stuhl war noch warm. Ich setzte mich, presste die Hände auf die Tischoberfläche und stellte mir vor, er säße neben mir.
    Ich bemerkte, dass Egan mich vom Tresen aus neugierig und besorgt beobachtete. Dennoch hob ich nicht die Hand, um ihm beruhigend zuzuwinken. Wie hätte ich das auch tun sollen, schließlich war ich selbst alles andere als beruhigt.
    In der Küche tauchte ich in die hektischen Aktivitäten und den intensiven Gestank nach Fett ein. Ich konnte richtig spüren, wie er in meine Poren drang. Gerüche charakterisieren Orte, dachte ich

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