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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kenner
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mein Blick fiel auf besorgtes Mitgefühl in hellblauen Augen. Augen, die ich kannte. »Thom?«, flüsterte ich durch die Baumwolle in meinem Mund hindurch. Ich kannte ihn von meinem Schnupperkurs bei den Sanitätern her, aber Thom hatte Lily gekannt, nicht Alice, und er sa h mich verwirrt an.
    »Oh Gott, Alice!« Gracies Stimme und ihr ganzer Körper drückten aus, wie erleichtert sie war. Sie bettete meinen Kopf in ihren Schoß und zog mich an sich. Brian und Aaron standen hinter ihr und wirkten völlig schockiert. »Oh Gott. Oh Gott!« Tränen liefen ihr über das Gesicht, und sie hielt mich ganz, ganz fest. Und ich lag da, weniger schockiert als vielmehr total verblüfft. Etwas hatte mein Herz durchbohrt, und das war nichts, was ein Defibrillator wieder hinkriegen konnte. Was zum Teufel war passiert?
    »Thom!«, rief jemand. »Wir kommen mit der Trage.«
    »Die brauche ich nicht.« Ich versuchte, mich aufzusetzen, in der Hoffnung, meine Behauptung damit untermauern zu können.
    »Bleib liegen, Alice«, sagte Brian drängend, aber ich schüttelte den Kopf.
    »Nein. Das kann ich nicht. Mir geht’s gut.« Ich konnte mich nur an die Augen des Dämons erinnern und danach bloß noch an Schwärze. Und dann die Geräusche, als ich wieder in die Welt eintauchte.
    Ich zitterte.
    Im Sterben schien ich allmählich R outine zu entwickeln.
    Ich nahm die Decke, die Thom mir reichte, und legte sie mir um die Schultern. Dann sah ich mich in der Gasse um. Außer mir, den Sanitätern, Gracie, Brian, Aaron und den Schaulustigen am Notausgang war niemand zu sehen.
    »Was ist mit Ihnen passiert?«, wollte Thom wissen.
    »Da war so ein Typ.« Eigentlich waren es ja mehrere gewesen, noch dazu Dämonen, aber ich hatte das Gefühl, das sollte ich besser nicht ausposaunen.
    »Und was ist passiert?«, fragte Gracie.
    Wenn ich das wüsste.
    »Da war so ein Typ, und der ist auf mich losgegangen«, fabulierte ich drauflos. »Und dann hat er zugestochen …«
    »Zugestochen!«, rief Gracie aus. Thom und sein Kollege beugten sich mit besorgten und ein wenig erschrockenen Gesichtern zu mir herab.
    »Wir haben keine …«
    »Zugeschlagen, wollte ich sagen«, verbesserte ich mich rasch und schob Thoms Hände weg, die sich meiner Decke näherten. Der Stoff meines TShirts war von dem Pfeil zerrissen worden, da war ich mir ganz sicher. Und genauso sicher war ich mir, was er sehen würde, wenn er die Decke wegzog: perfekt verheiltes Fleisch, direkt über meinem Herzen.
    Ich war gestorben, das schon. Aber wieder einmal war es nicht dabei geblieben.
    Mein Gott. Mein Gott, was hast du mit mir gemacht?
    »Alice? Alice!«
    »Er hat mich geschlagen«, fuhr ich fort und schüttelte den Kopf, um ihn freizukriegen und mich besser konzentrieren zu können. »Wir haben, nun ja, gekämpft. Er hat mein T-Shirt zerrissen. Mich geschlagen. Und ich glaube, ich habe mir den Kopf angehauen. Er … ich glaube, er hat sich verkrümelt.«
    Eher hatten ihn seine Kumpel wohl weggeschleppt. Ich zog eine Grimasse. Erst jetzt, wo es zu spät war, fiel es mir wieder ein: Ich hätte mich mit dem Dolch, auf den ich ihn aufgespießt hatte, nur zu schneiden brauchen. Dann wäre er zu meinem Dolch geworden.
    Und dann hätte ich ihn einsetzen und zusehen können, wie sich sein Körper in Dämonenpampe verwandelte.
    »Blut«, sagte der andere Sanitäter, der dort in die Hocke gegangen war, wo ich den Dämon in Menschengestalt hingeworfen hatte. Er tippte mit einem seiner in Latexhandschuhen steckenden Finger hinein. »Mit Sicherheit Blut.«
    Ich zitterte nervös, als der Geruch aufstieg, und plötzlich war mir schwindelig. Diesen Geruch hatte ich vorher verdrängt, hatte die Lust auf Blut in meine Lust aufs Töten fließen lassen. Aber jetzt drang er mir in die Nase, machte mich scharf. Jetzt war es Blut, was ich wollte, nicht Töten. Ich wollte es schlürfen. Es verschlingen.
    Das Verlangen - das Bedürfnis - schien mich innerlich aufzufressen, und ich wollte nur noch weg von diesen Leuten, weg von allem. Ich hielt es nicht länger aus. Meine Sucht ekelte mich in gleichem Maße, wie sie mich antrieb.
    Mein Gott, was war bloß aus mir geworden?
    »Die Bullen sind schon unterwegs«, sagte Thom und holte mich damit wieder in die Wirklichkeit zurück. »Und Sie bringen wir ins Krankenhaus.«
    »Nein«, widersprach ich, schloss die Augen und versuchte, nicht auf den Geruch zu achten. »Mir geht’s bestens. Ehrlich.«
    »Ihr Herz hat mehr als zwei Minuten ausgesetzt. Sie kommen ins

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