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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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er über eine Stunde lang dort stand. Wartete. Den Kaffee in der Hand. Schließlich warf er den Becher in die Mülltonne, schaute zu meinem Fenster herauf und ging.
    Am zweiten Tag regnete es, aber da war er wieder, um 6:30 Uhr. Mit Kaffee. Er stellte sich nicht im Buswartehäuschen unter. Über eine Stunde lang stand er am selben Platz wie immer und beobachtete mein Fenster. Ich saß im Bett – ich hatte es seit dem Vortag nicht mehr verlassen – und versuchte erfolglos, mein Buch zu lesen. Als er den Kaffee in den Mülleimer fallen ließ und im Nieselregen davonging, wanderte meine Hand an die kalte Fensterscheibe. Dort ließ ich sie noch lange, nachdem er gegangen war.
    Am dritten Tag starrte ich auf meinen Wecker. 6:30 Uhr kam und ging. Um 7:00 Uhr schwang ich mich aus dem Bett. Ich duschte sogar und zog mich an. T-Shirt, Leggins und Laufschuhe. Nicht dass ich vorgehabt hätte zu laufen. Ich tigerte in der Küche herum, kochte Kaffee, trank ihn aber nicht. Schließlich griff ich nach meinen Schlüsseln und verließ die Wohnung. Draußen war es frisch und klar. Es würde heiß werden. Ich schaute in beide Richtungen, bevor ich meinem Blick gestattete, zur Bushaltestelle zu wandern. Eine alte Dame saß dort und strickte etwas, das auf erschreckende Weise so aussah, als würde es zu diesem fürchterlichen grünen Dings passen, das sie um die Schultern trug. Aber das war alles. Er war schon weg. In der Nähe der Stelle, wo er immer auf mich wartete, klemmte in der Ecke einer Leiste ein Coffee-to-go-Becher. Ich machte einen Schritt darauf zu, um die Worte lesen zu können, die seitlich daraufgeschrieben waren. Nur drei Worte.
    »Ich vermisse dich auch«, flüsterte ich.
     
    F est entschlossen, mich nicht noch einen weiteren Tag lang zu verbarrikadieren und mich zu verstecken, machte ich einen Spaziergang und landete schließlich in einem Café. Kaffee gehörte zu den Dingen, die mich niemals enttäuschen würden. Ganz zu schweigen davon, dass ich nichts zu essen im Haus gehabt hatte, es sei denn, zwei Wochen alte Reste vom Chinesen zählten. Ich war am Verhungern.
    Das Café, das Dough to Bread hieß, war vollgestopft mit schicken City-Leuten, die sich hier eine Kleinigkeit zum Frühstück und einen Kaffee genehmigten. Hinten gab es ein Dutzend kleinerer Tische, die etwa zur Hälfte belegt waren. Ich setzte mich an einen, der ganz hinten stand, sodass ich so weit wie möglich von dem Trubel entfernt war und trotzdem alles beobachten konnte. Ich musste mich auf etwas anderes konzentrieren als auf die bröckelnden Fundamente meiner Welt.
    Ich bestellte eine Latte macchiato und Kürbissuppe mit einem knusprigen Brötchen. Der Kellner bedachte meine Wahl mit einem missbilligenden Blick, den er mir von hinter seinem Notizblock zuwarf. Es scherte mich einen Dreck, was er dachte. Ich brauchte Trost, und wenn auch nur die geringste Chance bestand, dass eine Suppe-Kaffee-Frühstück-Kombi es tun würde, dann immer her damit.
    Ich lehnte mich zurück und beobachtete das Durcheinander. Vermutlich kamen jede Woche dieselben Gäste hierher, dieselben Kellner ignorierten sie und die gleichen Schnaufer und das gleiche Murren gingen hin und her. Es war beinahe beruhigend, von so einem oberflächlichen Chaos umgeben zu sein.
    Ich zog mein Kunst-Tagebuch heraus und versuchte, ein paar Skizzen zu machen, aber ich wurde dauernd von der Familie abgelenkt, die in der Nähe von mir saß. Er las seine Morgenzeitung. Sie fütterte das Kleinkind mit Toaststücken mit Marmelade, und die Kleine ging dazu über, das Ganze über ihr Gesicht und die Wand hinter ihr zu verteilen. Die Frau lachte, wenn die Kleine quietschte, und er konnte nicht anders, als alle paar Sekunden über den Rand seiner Zeitung zu spähen und den Anblick zu bewundern.
    So sollte das sein. Zwei Menschen lernen sich kennen, verlieben sich ineinander und tun dann ganz normale Dinge. Ich wusste jetzt, dass ich nie wieder etwas Normales haben würde, schon gar nicht mit Lincoln. Er war ein Grigori und er war es gern. Man merkte ihm an, dass es nicht nur eine Beschäftigung für ihn war, sondern eine Berufung. Es war grausam, mit dieser Erkenntnis konfrontiert zu werden; mit der Erkenntnis, dass ich ihn so sehr gemocht und doch von der einen Sache nicht gewusst hatte, die ihn ausmachte. Ich hatte ihm alles über mich anvertraut, und im Gegenzug waren mir noch nicht einmal die Highlights verraten worden.
    Ich versuchte, mich wieder abzulenken, und bemerkte einen Typ, der auf

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