Erwählte der Ewigkeit (German Edition)
los?«
Aber eigentlich war die Frage völlig überflüssig, und Tegan machte sich keine Mühe, zu antworten. Sie hatten beide ihre Erfahrungen mit der Sucht, die Chase jetzt in ihren Klauen hatte. Und wenn sich herausstellte, dass die Blutgier ihn zum Töten getrieben hatte – und auch noch so brutal und einen so prominenten Menschen, dessen Tod unwiderrufliche Konsequenzen für den ganzen Stamm haben konnte – , dann hatte Chase damit sein eigenes Todesurteil unterschrieben.
9
Chase schlug seinen Mantelkragen hoch, als er in eine dunkle Seitenstraße in der Innenstadt einbog und in den abendlichen Strom von Fußgängern und Pendlern eintauchte. Seine Schusswunden bluteten wieder. Er konnte spüren, wie sein heißes Blut durch den Stoff seiner weiten Jeans und sein kariertes Flanellhemd drang, das er vom Wühltisch eines Secondhand-Ladens der Heilsarmee, der von Weihnachtsspenden überquoll, hatte mitgehen lassen. Seine braunen Bauarbeiterstiefel waren ihm eine ganze Nummer zu klein, und der dunkle Wollmantel roch leicht nach Mottenkugeln, aber er war warm. Zu warm. Seine Haut fühlte sich fiebrig, zu eng an. Er wusste, dass es der Hunger war, der ihn rief.
Es hatte vor einer Stunde mit einem lästigen Prickeln angefangen, sein Körper ließ ihn auf diese Weise wissen, dass es Abend wurde und Zeit für die Nahrungsaufnahme war. Mit dröhnendem Kopf und Adern, die hartnäckiger klingelten als jeder Wecker, war er in der verlassenen Mühle in Malden aufgewacht, wo er nach seinem unangekündigten Besuch bei dem Lakaien-Senator untergekrochen war. Er hatte wirklich Glück gehabt, letzte Nacht diesen Zufluchtsort gefunden zu haben. Und noch mehr Glück, dass seine Erschöpfung größer gewesen war als seine Sucht. Er wäre nicht der Erste seiner Spezies, der vor Blutgier verblödet war, sich irgendwo im Freien zum Schlafen hingelegt hatte, um dann bei Sonnenaufgang zu Asche zu verbrennen.
Aber so schlimm stand es noch nicht um ihn.
So wie sein Magen sich verkrampfte, musste er sich fragen, ob der endgültige Absturz in die Blutgier nicht doch eine Erleichterung für ihn wäre. Es war weiß Gott die Hölle, jede wache Sekunde dagegen anzukämpfen.
Das Blut des Pflegers hatte ihm den Energiestoß gegeben, den er gebraucht hatte, um aus dem Krankenhaus zu entkommen und sich um Dragos’ Geistsklaven zu kümmern, aber jetzt bezahlte er den Preis dafür. Wie eine vernachlässigte Geliebte, der man plötzlich ein kurzes, aber vorübergehendes Interesse hatte zuteilwerden lassen, so forderte sein Blutdurst nun seine volle, ungeteilte Aufmerksamkeit. Er schickte ihn auf die Straße zurück auf die Jagd, wieder in die geschäftige Innenstadt zurück, mehr aus egoistischer, sklavischer Gier als wegen der gerechten Sache oder aus Pflichtgefühl.
Seine halb geöffneten Augen glitten von einem Menschen zum nächsten, Verlockung überall, als er sich unter ihnen bewegte wie ein Geist. Ohne dass er es geplant hatte, fand er sich hinter einer Gruppe junger Frauen wieder, die mit Einkaufstüten und langen Geschenkpapierrollen bepackt waren. Unauffällig folgte er ihnen, als sie plaudernd und lachend die Straße hinaufgingen. Sein Hunger wollte, dass sie auf den schwach erleuchteten Parkplatz am Ende der Straße zugingen, aber stattdessen bogen die Frauen abrupt rechts ab und betraten einen lärmenden irischen Pub. Als sie in der brechend vollen Kneipe verschwanden, wurde Chase draußen langsamer. Seine Fänge drückten sich in seine Zunge, und obwohl er tief den Kopf gesenkt hatte, konnte er im mit Girlanden und Lichterketten geschmückten Pubfenster den schwachen Schein von zwei bernsteinfarben glühenden Punkten gespiegelt sehen.
Scheiße.
Er musste dieses Ding wirklich unter Kontrolle bekommen. Er wusste natürlich, wohin es ihn führen würde. Dasselbe war schon besseren Männern als ihm passiert. Er hatte es vor gar nicht langer Zeit in seiner eigenen Familie gesehen, bei einem talentierten Jungen, der eine vielversprechende Zukunft vor sich gehabt hatte. Verloren an die Blutgier und getötet in einem einzigen Augenblick, eine verdammenswerte Tat, die Chase seither verfolgt hatte.
Camden.
Himmel, war der Tod seines Neffen wirklich schon über ein Jahr her? Manchmal fühlte es sich an, als seien seither erst einige Tage vergangen. Manchmal, so wie jetzt, wenn seine eigenen transformierten Augen auf ihn zurückstarrten, kam es ihm so vor, als wären es Jahrhunderte.
Verdammt lang her.
Und er konnte es sich nicht
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