Erwählte der Ewigkeit (German Edition)
Mädchen nickte begeistert. »Au ja, das wird toll!«
»Was denkst du?«, fragte Lucan den schmollenden jungen Stammesvampir und stellte sich neben ihn.
Kellan zuckte mit den Schultern. »Ich finde, der Baum ist reichlich mickrig.«
»Mickrig?«, fragte Niko. »Ich geb dir mickrig.«
Als der Baum jetzt zu Miras Zufriedenheit aufgestellt war, hielt der Stammeskrieger seine Hände in die buschigen Äste. Einen Augenblick lang stand er ruhig da, und Lucan wusste, dass der Vampir aus Russland seine übersinnliche Gabe aktivierte. Jeder Stammesvampir erbte eine übernatürliche Gabe von seiner Mutter, sie konnte ein Segen sein, aber auch ein Fluch. Lucans Gabe war, Menschen durch Hypnose zu manipulieren, sie sehen und glauben zu machen, was er wollte.
Was Nikolais Gabe anging, fand es Lucan amüsant, dass der fanatische Waffennarr mit einem speziellen Hang dazu, Sachen in die Luft zu jagen, eine Gabe besaß, die mit Mutter Natur selbst wetteiferte. Als Niko sich jetzt schweigend konzentrierte, begann tief im Inneren der Tanne etwas zu passieren. Es gab ein leises raschelndes Geräusch, und dann, wie von neuem Leben durchflutet, begannen sich die Äste und Nadeln des Baumes zu strecken und zu wachsen. Er wurde voller, wuchs und streckte sich einen Meter höher auf die Deckenbalken des großen Raumes zu.
Mira kicherte in der Stille, die sich im Raum ausgebreitet hatte. »Wahnsinn«, rief sie und klatschte begeistert, als der Baum sogar noch höher aufschoss.
Kellan Archer starrte mit offenem Mund. »Was zum … «
Niko zog die Hände wieder aus dem Geäst und blies sich auf die Fingerspitzen wie ein Revolverheld aus dem Wilden Westen. Er warf dem Jungen einen Seitenblick zu, und die Lachfältchen an seinen eisblauen sibirischen Augen vertieften sich. »Das Einzige, was hier mickrig ist, bist du, Kleiner.«
Alle lachten leise, sogar Lucan. Er sah zu, wie Kellan kurz die Röte in die Wangen schoss und er dann wieder seine übliche teigige Blässe annahm. In den letzten Tagen war er wirklich auffallend blass. Lucan musterte den dünnen Körper und das schmale, fast ausgezehrte Gesicht des jungen Stammesvampirs. »Hast du in letzter Zeit Nahrung zu dir genommen?«
Kellan zuckte nichtssagend mit den Schultern.
»Hat er nicht«, sagte Mira. »Kein einziges Mal, seit er zu uns ins Hauptquartier in Boston gebracht wurde.«
Der Blick, den er dem kleinen Mädchen zuwarf, war fast schon mörderisch.
»Ist das wahr?«, fragte Lucan.
Wieder ein Schulterzucken mit gesenktem Kopf, Kellan weigerte sich, Lucan in die Augen zu sehen. »Schätze ja.«
Kein Wunder, dass er so anämisch aussah. Es war fast zwei Wochen her, dass der Junge auf Dragos’ Befehl entführt worden war und der Orden ihn gerettet und zusammen mit seinem Großvater ins Bostoner Hauptquartier gebracht hatte. Die beiden waren die einzigen Überlebenden von Dragos’ Anschlag auf den Dunklen Hafen ihrer Familie. Es war eine Sache, wenn ein erwachsener Stammesvampir eine Woche oder länger ohne Blut lebte; sogar das war riskant. Aber ein Jugendlicher in der Entwicklung brauchte regelmäßig Nahrung, um seinen Körper zu stärken und seine übernatürlichen Kräfte zu perfektionieren. Für diejenigen von Lucans Spezies, die in einer Blutsverbindung mit einer Stammesgefährtin lebten, war die Nahrungsaufnahme ein intimer Akt, der ebenso geheiligt wie einfach auch schlichte Notwendigkeit war. Ledige Männer und Kinder im Jagdalter brauchten zur Nahrungsaufnahme einen menschlichen Blutwirt.
Kellan hatte seine ersten paar Tage auf der Krankenstation des Hauptquartiers verbracht, wo er sich von seinen Torturen erholte, aber jetzt war er schon wieder einige Tage auf den Beinen, und sein Körper brauchte dringend Nahrung.
Lucan starrte den Jungen an. »Du lebst schon zu lange ohne Nahrung. Du musst dich darum kümmern, Kellan, und zwar lieber früher als später.«
»Mach ich«, antwortete er, den Blick weiter gesenkt.
Lucan streckte die Hand aus und hob das Kinn des Jungen, bis er ihm in die Augen sehen musste. »Noch heute Nacht. Das ist ein Befehl, Junge.«
Kellan runzelte die Stirn. Er schien innerlich zurückzuzucken wie ein plötzlich in die Enge getriebenes Tier. »Mein Großvater sagte, er würde mit mir gehen. Ich habe darauf gewartet, dass er Zeit hat, aber er war so damit beschäftigt, Jenna zu helfen … «
Lucan schüttelte den Kopf, er war sich sicher, dass es nur eine Ausrede war. »Ich gehe persönlich mit dir raus, wenn es sein muss. Heute
Weitere Kostenlose Bücher