Erwarte mich in Paris (German Edition)
will sterben“, flüsterte ich. „Mein Leben hat keinen Sinn mehr.“
Darauf blieb Piero stumm. Er wusste, dass es nichts gab, was mich trösten konnte. Ich hatte innerhalb einer Nacht meine Familie, meine Freunde, meine Arbeit, meine Zukunft, den gesamten Grund meiner Existenz verloren.
„Wenn wir uns wiedersehen, wird alles anders sein. Besser“, versuchte er mich aufzumuntern.
Ich schüttelte den Kopf.
„Gib nicht auf, Nikola. Du hast geschafft, was du wolltest. Du wolltest nicht so leben, wie es dir der Clan vorschrieb. Jetzt hast du die Chance, das zu tun, was dich wirklich ausmacht.“
Zwischen wirrem Haar sah ich zu ihm hinüber. Wusste er eigentlich, dass ich das alles nur für ihn getan hatte? Es kam nicht aus einem inneren Impuls heraus, wie er glaubte. Ich hatte mich aufgelehnt, ja. Aber nur weil ich so sein wollte wie er, gleichwertig, ebenbürtig. Damit er mich beachtete, mich liebte. Doch das, was ich jetzt in seinen Augen sah, war nur Mitleid, Sorge und Trauer. Doch ich wollte sein Mitleid nicht. Ich wollte nicht, dass er sich um mich sorgte. Ich wollte einfach nur tot sein.
Ich spürte eine einzelne Träne über mein versteinertes Gesicht fließen.
„Tom wird dir helfen. Er bringt dich in ein anderes Land, in eine andere Stadt und wird dir zeigen, wie du es schaffen kannst, dich allein zurechtzufinden. Er hat es mir versprochen. Du kannst dich auf ihn verlassen. Und ich werde immer wissen, wo du bist. Erwarte mich dort. Ich werde dich finden. Irgendwann komme ich. Versprochen.“
Lass mich nicht allein. Bitte, komm mit! Lass uns zusammen ein neues Leben beginnen. Ich liebe dich! Ich brauche dich! Die Worte lagen mir brennend auf der Zunge. Doch ich schluckte sie herunter, bis sie mir wie heiße Steine im Magen lagen.
„Ich muss jetzt gehen.“ Piero sah mich an, suchte meinen Blick, so als erwarte er noch etwas von mir. Doch ich starrte auf meine Hände, unfähig ihm mein Inneres zu offenbaren.
Als er aufstand, zuckte ich zusammen.
„Ich habe dir deine Kleidung mitgebracht. Sie liegt auf dem Stuhl.“
Ich rührte mich nicht. Starr sah ich auf meine ineinander verkrallten Finger. Als Piero die Tür hinter sich ins Schloss zog, schaffte ich es endlich, mich aus meiner Lethargie zu befreien.
Er durfte nicht gehen. Er war doch alles, was ich noch hatte. Ich schlug die Decke zur Seite und sprang auf die Beine. Doch anstatt hinter ihm her zu eilen, knickten mir die Knie ein. Hart schlug ich auf dem Boden auf. Rote Flecken taumelten vor meinen Augen, während ich gegen eine aufkommende Ohnmacht ankämpfte. Unfähig etwas zu unternehmen, hörte ich, wie er sich im Flur von Tom verabschiedete.
„Ich geh jetzt.“
„Klar, mach’s gut. Und pass auf, dass dich niemand sieht.“
„Mich übersieht doch sowieso jeder.“
„Sei dir da mal nicht so sicher. Ich war damals auf dich aufmerksam geworden.“
„Du bist ja auch anders.“
Kurz lachten beide auf, wurden aber sofort wieder ernst.
„Kümmere dich um ihn. Ich verlass mich auf dich. Er liegt mir wirklich am Herzen.“
„Klar, solange du deinen Teil der Abmachung nachkommst, kein Problem.“
„Werde ich“, entgegnete Piero. „Du hast mein Wort. Ich warte nur auf deinen Anruf.“
„Es ist erschreckend, was einem plötzlich alles offen steht, wenn man solche Freunde wie dich hat.“
Einige Sekunden Stille folgten, in denen mir mein verwirrtes Hirn ein Bild vorgaukelte, welches Piero und Tom eng umschlungen zeigte.
„Verschwinde jetzt. Ich werde dich schon genug vermissen.“ Toms geflüsterte Worte waren fast unhörbar.
„Du wirst jemanden anderes finden.“
„Ja, da hast du wohl recht.“ Tom lachte.
Die Eingangstür fiel ins Schloss.
Piero war gegangen. Minutenlang lag ich zusammengekauert auf dem Boden und spürte nur eine unendliche Leere in mir.
PARIS -
Neues Zuhause?
„Wo hast du mein Fotobuch wieder hingetan?“ Tom rannte durch das Apartment und wurde mit jeder Sekunde wütender.
Ohne ein Wort zu sagen, ging ich zu seinem Schreibtisch, zog das Buch unter einem Stapel Briefen hervor und hielt es ihm mit gesenktem Blick hin.
„Ich schwöre dir, wenn du noch einmal meine Sachen verlegst, rutscht mir mal die Hand aus. Ich kann deine Unordnung einfach nicht mehr ertragen! Wenn ich gewusst hätte, worauf ich mich mit dir einlasse, hätte ich es mir sicher noch einmal überlegt.“
„Ich kann ja
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