Erwarte mich in Paris (German Edition)
brauch dich später noch.“
Verunsichert blieb ich stehen, während an die dreißig, durchweg blasse, blonde Männer durch den Vorhang auf den Laufsteg hinausliefen. Eine Stimme donnerte Anweisungen in ein Mikrofon: „Ihr geht gerade vor. Für fünf Sekunden stehen bleiben, nach links abgehen. Verstanden? Ganz einfach, straight und cool. Als erster geht Mathis, dann Enzo, Jules, Tom, René“, weitere Namen wurden aufgerufen.
Was sollte ich jetzt tun? Vorsichtig lugte ich durch einen Spalt des Vorhangs. Die jungen Männer hatten sich der Reihe nach auf dem Laufsteg aufgestellt. „ Thomas, Nikola, Ernesto… NIKOLA! Hier fehlt jemand, verdammt! Wo ist Nikola?“
Ich stolperte hinter dem Vorhang hervor. „Pardon, ich bin Nikola.“
„Wird ja auch Zeit. Ich hoffe, das läuft heute Abend besser. So etwas darf auf keinen Fall bei der Show passieren. Verstanden? Ich behalte dich im Auge!“
Ich reihte mich zwischen die anderen ein und fühlte mich augenblicklich wie das besagte hässliche Entlein unter weißen Schwänen.
„Und jetzt los, so wie ich gesagt habe. Geradeaus, vorn links, mit Abstand.“ Wir liefen mehrere Runden, bei denen einige noch einmal von Jerome, dem Choreographen, korrigiert wurden. „Schultern zurück! Cooler Blick! Weniger Arm!“ Die Ansagen kamen wie Peitschenhiebe.
Ich hatte mich mit schnellen Seitenblicken informiert, wie die anderen liefen und tat es ihnen gleich. Einen imaginären Punkt, in der Ferne fixierend, ging ich hinter den anderen her und blendete alles um mich herum aus. Ich wollte keinesfalls wieder von Tom verunsichert werden, und ich wusste trotzdem schon, dass er es wieder versuchen würde. Er würde es nicht auf sich belassen können, dass sein „Laufbursche und Hausdiener“, wie er mich mit Vorliebe vor anderen Leuten betitelte, auf seine Stufe gestiegen war.
„Sehr gut“, rief Jerome, und ich hatte seltsamerweise das Gefühl, dass er mich damit meinte. Kurz kam ich aus dem Tritt, fing mich dann jedoch wieder und ging von der Bühne ab.
„Okay, jetzt bleiben nur noch die mit den zweiten und dritten Outfit hier“, rief er und lief auf mich zu. „Nikola!“
Ich blieb stehen und sah ihm verstört entgegen.
„Keine Angst!“ Jerome lächelte mich an. „Alain hat mir schon gesagt, dass du neu bist. Aber glaub mir, man merkt es nicht. Du bist wirklich eine Augenweide.“ Mit einer übertriebenen Armbewegung bekräftigte er seine Aussage. „Bleib noch einen Moment da. Ich möchte mit dir den letzten Lauf proben. Alain hat da eine großartige Idee.“
Er zwinkerte mir zu und griff wieder nach seinem Mikrofon, um neue Anweisungen hineinzubrüllen.
Derweil setzte ich mich in die erste Stuhlreihe und betrachtete den Reigen junger Männer, der auf dem Laufsteg vorbeizog.
Und mit so was konnte man Geld verdienen?
Einfach nur durch Laufen? Ich konnte es noch immer nicht glauben. Aber wenn die Welt so verrückt war, warum sollte ich davon nicht profitieren?
Nachdem Jerome mich für meinen letzten Lauf eingewiesen hatte, schickte er mich in die Garderobe.
„Nikola?“ Ein femininer, zarter Mann winkte mir zu und zeigte auf einen Stuhl vor einem Spiegel. „Setz dich. Ich bin Etienne. Ich mach dir jetzt dein Make-up und die Haare.“ Er schaute auf einen Zettel. „Okay, du kommst nach deinem ersten Walk noch einmal zu mir, dann werde ich deine Haare noch einmal verändern, doch jetzt …“, er griff in einen Geltiegel und verrieb die feucht glänzende Masse zwischen seinen Händen, „werde ich die Wildheit auf deinem Kopf erst einmal bändigen.“
Mit energischen Bewegungen strich er mein Haar zurück, bis es glatt glänzend an meinem Kopf anlag. Dann puderte er mein Gesicht.
„Augen zu“, forderte er mich auf und bestäubte meine Lider. „So, fertig.“
Glatt und ebenmäßig sah ich mir aus dem Spiegel entgegen.
„Bis nachher. Nicht vergessen. Alain will, dass du einen ganz besonderen Look bekommst. Dafür brauche ich etwas Zeit.“
Wortlos stand ich auf und ging zu den Kleiderständern. Ich suchte mir den orangen Anzug, an dem mein Foto geheftet war und begann mich umzuziehen.
„Das Problem an der Mode ist, dass oben die Köpfe rausschauen“, sagte Tom in meine Richtung und lachte wiehernd. Einige Jungs setzten in das Lachen ein.
„Vergiss nachher nur nicht, wie man läuft. Einen Fuß vor den anderen. Aber das kennst du ja vom Strich“, flüsterte er so laut, dass es
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