Erwarte mich in Paris (German Edition)
trotzdem für alle hörbar war. Dabei zwinkerte er mir verschwörerisch zu.
Ich spürte, wie ich knallrot anlief. Krampfhaft suchte ich nach einer schlagkräftigen Antwort. „Durante noches enteras bebía y se iba de putas! El Pajero!“ („Er soff und hurte nächtelang! Der Wichser!“) r utschte es mir auf Spanisch heraus.
„Was sagst du da? Glaube nur nicht, dass ich nicht merke, wenn ich beleidigt werde.“ Tom funkelte mich streitsüchtig an.
Stille breitete sich aus. Alle Augen waren auf Tom und mich gerichtet. Jeder schien darauf zu warten, wie der Streit ausging. Ein leises, vornehmes Lachen erklang und ließ uns herumfahren. Alain stand da und hielt sich amüsiert eine Hand vor den Mund. Wie ein eleganter Graureiher wirkte er zwischen uns, die wir in den farbigen Anzügen wie einer Schar Kanarienvögel aussahen. Durch eine dunkel getönte Brille musterte er uns, dann machte er mit einer Hand, in der er einen versilberten Spazierstock trug, eine auffordernde Geste.
„Zehn Minuten noch. Zehn Minuten bis zur Show“, rief Christin, die hinter ihm hervor trat und mir einen strengen Blick zuwarf.
Alain ging seelenruhig durch die Jungs hindurch, die teilweise noch mit Ankleiden beschäftigt waren. Keine Spur von Nervosität, Aufregung oder Stress war ihm anzusehen. Hier und da tippte er einen Jungen mit dem Knauf seines Spazierstockes auf die Schulter und sagte leise etwas zu Christin. Diese richtete mit schnellen Handgriffen die Mängel, öffnete da einen Hemdknopf, richtete hier einen Kragen oder strich dort eine widerspenstige Strähne zurück.
„Wie der beige Marmor in meinem Schlafzimmer.“ Der silberne Knauf berührte meine Brust. Wie Eis fühlte sich das Metall auf meiner nackten Haut an. „Der Marmor kommt übrigens auch aus Spanien“, sagte er und sah mir sekundenlang in die Augen. Ein neuerliches Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.
Obwohl ich nur mein eigenes Spiegelbild in den Gläsern seiner Sonnenbrille sah, fuhr mir ein Prickeln bis in den Unterleib.
„Alain?“ Christin sprach ihn von der Seite an.
Dieser hob langsam die Hand, und Christin verstummte gehorsam.
„Ich erwarte Großes von ihm. Er besitzt in meiner Show eine Sonderstellung, was er sicher schon bemerkt hat.“ Dann senkte er seine Hand.
Christin sah mich irritiert an, fing sich aber sofort wieder. „Der Saal ist voll. Alle warten. Sogar Karl und Eva sind anwesend. Die Techniker brauchen dich aber noch einmal wegen der Musik und dem Licht.“
Alain musterte mich weiter, so als ob er die Worte nicht gehört hatte. „Er wird heute glänzen“, sagte er an mich gerichtet. Dann erst drehte er sich um und ging Richtung Mischpult davon.
„Oh je, was war das denn? Ich glaube, du musst mir nachher was beichten“, zischte Christin.
Hilflos zuckte ich mit den Achseln. „Ich habe keine Ahnung, was er mit den seltsamen Anspielungen meinte.“
„Aufstellen. In einer Reihe aufstellen“, erklang Jeromes Stimme und eine rege Lebendigkeit entstand. Jeder suchte seinen Platz, der Reihenfolge entsprechend, nach der er den Laufsteg betreten würde. Jerome schritt die Reihe noch einmal ab. Erhabene klassische Musik setzte ein, die den Beginn der Show verkündete.
„Los, der Erste.“ Jerome tippte dem ersten Jungen auf die Schulter. „Nicht zu schnell. Denkt daran!“
Nach und nach traten einer nach dem anderen hinter dem Vorhang hervor, auf den Laufsteg. Auch ich rutschte immer näher an meinen Auftritt heran. Das Model vor mir lief los und Jerome legte seine Hand auf meine Schulter.
„Tief durchatmen, Coolness … und los.“ Er gab mir einen leichten Klaps und ich trat auf die Bühne.
Grelles Scheinwerferlicht blendete mich und tauchte die Umgebung, jenseits der Strahlen, in undurchdringliches Dunkel. Eine Hand in der Hosentasche, begann ich den Catwalk entlangzulaufen. Die ungewöhnliche Musik ließ mich fast schweben. Noch nie hatte ich solche Musik gehört. Sie war würdevoll und brachte mich dazu, wie ein König einher zu schreiten. Blasse Ovale waren am Fuße des Laufsteges zu sehen – Gesichter, die zu mir heraufschauten, still, fast ehrfürchtig. Ich richtete meinen Blick auf das undurchdringliche Schwarz am Ende der Bühne und bewegte mich darauf zu.
Und hiermit konnte ich meinen Lebensunterhalt verdienen? Einfach nur, indem ich auf und ab ging und mich gut dabei fühlte? Wenn das alles war …
Ohne es vermeiden zu können, breitete sich ein
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