Erwarte mich in Paris (German Edition)
wo mich hunderte von Menschen sehen konnten? Was fiel diesen Verrückten sonst noch ein?
Doch ich kam nicht dazu, mich zu beschweren oder zu sträuben. Energisch wurde ich an die Seite des Vorhanges geführt, wo sich wieder alle versammelt hatten, um ihre Abschlussrunde über den Laufsteg zu machen.
Tom stand mit verschränkten Armen da und beschoss mich mit giftigen Blicken. „Ja, ist denn schon Weihnachten, dass hier ein verkohltes Christkind auftaucht“, war sein bissiger Kommentar. Er verstummte jedoch sofort, als Alain erschien.
„Los, los, alles raus“, scheuchte Jerome sie wie eine Schar Hühner auf den Laufsteg.
Alain betrachtete derweil gelassen meine absonderliche Aufmachung. Er hatte eine Hand an sein Kinn gelegt, als würde er überlegen. „Er geht neben mir, so dass ich im Schatten seiner Schwingen laufe. Hat er das verstanden?“
„Ja, hat er“, sagte ich trocken.
Alain hob seine Hand, und eine himmlische Musik begann zu spielen. Er sah mich an, wobei ich wieder ein kleines Lächeln zu sehen glaubte, dann trat er hinaus.
Jubelnder Applaus umflutete uns, wie ein warmer Sommerregen, während wir Seite an Seite über den langen Laufsteg liefen. Blitzlichter flammten auf und machten den Anschein eines Gewitters im Sommer noch glaubwürdiger.
Ich lief einen halben Schritt hinter Alain und achtete genau auf seine Gesten. Immer wenn er innehielt, um die Beifallsbekundungen seines Publikums entgegenzunehmen, stand auch ich still und beobachtete mit Erstaunen das Theater, welches um uns herum stattfand. Dann drehte sich Alain zu mir um, breitete seine Arme aus und präsentierte seine neueste Kreation. Und ich bekam den unangenehmen Eindruck nicht los, dass er nicht nur die Hose meinte, die ich trug, sondern auch dieses absonderlich geschminkte Wesen mit den schwarzen Riesenflügeln, welches völlig deplaziert herumstand und nicht wusste, wo es hinsehen sollte.
In Ermanglung von Erfahrung mit solchen abstrusen Situationen, tat ich das Einzige, was mir einfiel. Ich spielte meine Rolle als unnahbarer, zorniger Gott, wie mir Jerome eingebläut hatte, und funkelte glutäugig in das Blitzlicht.
Ein weltfremdes, über alles schwebendes Wesen schien mir hier, in dieser haarsträubenden Lage, noch das einfachste, was ich glaubwürdig darstellen konnte. Ich sah in die gleißenden Scheinwerfer und wünschte mich ganz weit weg, während der Beifall um mich herum nicht nachzulassen schien.
Aftershow
„Du warst fantastisch“, versicherte mir Christin, als ich wieder wie ein normaler Mensch angezogen war. Sie hielt mir ein Glas Champagner entgegen und prostete mir zu. „Auf deine neue Karriere.“
„Und auf den ganz normalen Wahnsinn“, konnte ich mir nicht verkneifen.
„Ja, da hast du wohl recht. Ich weiß auch nicht, was Alain sich bei dieser Aktion gedacht hat, dich als gefallenen Engel auftreten zu lassen. Er lässt mich an seinen Ideen ja nicht teilhaben. Ich darf nur den Kaffee besorgen.“ Sie nahm einen großen Schluck. „Komm, lass uns ein wenig ins Foyer gehen, Promis gucken, bevor Alain wieder irgendeinen, ach so wichtigen Auftrag für mich hat.“
„Promis? Da muss ich dich enttäuschen. Im Prominente erkennen bin ich eine Niete.“
„Keine Sorge, ich kenn mich da aus und werde dir auf die Sprünge helfen. Wer weiß, wozu das noch gut ist …“
Wir traten durch die Tür, die den Backstage- vom Publikumsbereich trennte und befanden uns sofort in einer anderen Welt. Elegante Frauen in Abendkleidern und Männer, die ihnen in Extravaganz in nichts nachstanden, wandelten umher, redeten oder versuchten die Aufmerksamkeit der Fotografen zu erwecken. Dazwischen huschten Kamerateams und Journalisten umher, auf der Suche nach Interviews oder ausgefallenen Schnappschüssen.
„Schau nur, dort“, Christin wies auf einen schmalen, knabenhaften Mann, mit weiß gepuderten Zopf, der sich mit Alain unterhielt, als wären sie alte Freunde. „Das ist ebenfalls ein großer Designer. Normalerweise sind Alain und Karl erbitterte Konkurrenten. Wenn aber die Presse anwesend ist, kehren beide ihre nette Seite nach außen. Oh, und dort, siehst du die große, blonde Frau? Das ist Andrej. Er ist das derzeit angesagteste Männermodel.“
„Wie? Eine Frau mit einem Männernamen, die so tut, als wäre sie ein männliches Model?“ Verblüfft musterte ich die schlanke Frau.
„Nein, sie ist ein Mann.“ Christin lachte. „Du wirst schon
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