Erwarte mich in Paris (German Edition)
legte mir ein dicht beschriebenes Blatt vor die Nase. Mit dem Zeigefinger tippte sie auf eine Zahl.
„Gut! Und wann?“
„Jetzt tu doch nicht so unbeeindruckt! Jemand wie Tom würde für den Job, und vor allem für diese Summe, morden.“
„Ich bin aber nicht so jemand wie Tom.“
„Da hast du wohl recht.“ Christin setzte sich auf die Küchenzeile und ließ ihre Beine baumeln. „Wenn du diesen Auftrag gut erfüllst, hast du es geschafft. Er will dich schon morgen haben. Ich schreib dir hier eine Adresse auf. Alain hat ein Studio in seinem Haus. Dort ist er ungestört. Hatte ich schon erwähnt, dass er gern allein arbeitet? Ich werde deshalb nicht dabei sein können.“
„Hast du etwa Angst, dass ich was Dummes anstelle?“
„Nein, sicher nicht. Ich würde nur gern zusehen.“ Christin senkte den Blick. „Weißt du, auch wenn mein Verstand es schon kapiert hat, mein Herz hat sich mit dieser Situation noch nicht abgefunden.“
Es irritierte mich, wie offen sie über unser Verhältnis sprach. Doch es schaffte eine Vertrautheit zwischen uns, die ich so noch nie erlebt hatte.
„Du wirst darüber hinwegkommen“, sagte ich und nahm sie fest in den Arm.
Sie nickte traurig. „Sicher!“
Christin hatte mit ihrer Aussage Recht gehabt. Nicht jeder, der im Modebusiness arbeitet, konnte sich eine schicke Altbauwohnung an der Seine leisten. Alain jedoch konnte es. Und was für eine. Das außergewöhnliche Tor mit den schmiedeeisernen Beschlägen wies das Haus schon als etwas Besonderes aus.
Ich drückte auf den Klingelknopf. Der Verkehr dröhnte auf der Straße hinter mir und machte es unmöglich, den Widerhall der Klingel im Haus zu hören. Nachdem ich einige Zeit gewartet hatte, drückte ich erneut. Seltsamerweise fühlte ich mich jetzt beobachtet. Ich sah nach oben und erkannte eine kleine halbrunde Kamera, welche den Eingangsbereich kontrollierte. Ich hob meine Hand und grüßte. Die Tür, welche in das Tor eingelassen war, summte und sprang einen Spalt auf. Ich drückte sie ganz auf und machte einen Schritt über die Schwelle. Die Tür fiel mit einem leisen Geräusch ins Schloss und innerhalb von Sekunden befand ich mich in einer anderen Welt. Die Geräusche der Seinepromenade verschwanden, und Stille umfing mich.
Ich stand in einem dunklen Torbogen und sah in einen sonnenüberfluteten Hof, der von Palmen überwuchert schien. Langsam folgte ich dem gepflasterten Weg, der nach links abbog. Hier standen zwei schwarze Wagen. Ich verstand nicht viel von Autos - eines war groß und bullig, das andere im Gegensatz dazu winzig, flach und sportlich. Dahinter erkannte ich ein großes Wohnmobil in dezentem Silbergrau. Ich ließ meinen Blick über die Palmen schweifen und betrachtete mit Staunen die gläserne Fassade, die sich bis unter das Dach zog. Klassische Musik erklang irgendwoher. Dann hörte ich leise Schritte.
„Gut hergefunden?“ Alain stand in einem burgunderroten, edlen Morgenmantel vor mir. Seine Augen hatte er hinter einer getönten Brille versteckt. Seine Füße steckten in hellen Slippern, deren Leder weicher aussah, als ich mir vorstellen konnte.
„Ja, kein Problem“, antwortete ich und fühlte mich, trotz seiner Sonnenbrille, bis auf die Haut gemustert.
„Das ist doch schon mal ein guter Anfang.“ Er drehte sich um, und ich folgte ihm. Weiterhin sah ich mich um.
Niemals hätte ich gedacht, dass sich hinter der Fassade eines alten Stadthauses, so ein Anwesen verbarg. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Man konnte hier, in dem Innenhof zwischen dichten Palmenwedeln wandeln, ohne zu ahnen, dass man sich mitten in einer Großstadt befand. Vereinzelt luden Sitzgelegenheiten zum Verweilen ein. Alles war so geschickt arrangiert, dass man sich in einem Urwald wähnen konnte.
Alain trat in einen Aufzug, der ebenfalls aus Glas bestand, und winkte mich heran. „Wir fahren gleich ins Atelier. Ich hasse es, Zeit zu vergeuden.“
Das Atelier befand sich unter dem Dach und war mit weißen Stoffbahnen abgeschattet, hinter denen man den blauen Himmel erahnen konnte.
„Zieh die an. Hat ja schon mal funktioniert.“ Er hielt mir die braune Badehose mit den Netzeinsätzen hin.
„Ich bin verwirrt“, sagte ich und war über meinen Mut, ihn direkt anzusprechen, selbst erstaunt. „Kein: ziehe ER diese Hose an?“
„Ach komm, das ist alles Show. Konntest du dir das nicht denken? Das können wir uns doch jetzt sparen. Oder?“
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