Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
Videoband, das von der Øster Allé aus aufgezeichnet wurde.«
Carl nickte in Gedanken. Brumleby. Die Oase von Østerbro. Einst hatte da eine Gruppe sozial engagierter Ärzte für gesunde Arbeiterwohnungen gesorgt. Heute waren die zweihundertvierzig Apartments in den Reihenhäusern des Quartiers heiß begehrt. Verdammt viel Arbeit und vermutlich eine unmögliche Aufgabe, sie alle aufzusuchen. Es war das erste Mal, dass die Polizei hier in der Gegend eine Haus-zu-Haus-Befragung durchführte.
»Und die Ermittler haben die große Dame nie gefunden?«
»Anscheinend nicht. Aber ich würde mich nicht so sehr auf ihre Größe versteifen. Wer weiß, ob die Techniker sich nicht doch irren mit den flachen Schuhen.«
»Hat man denn schon ein Suchbild hier in der Gegend aufgehängt? Die Menschen kennen sich doch sicher alle, da müsste sie doch schnell zu finden sein.«
»Hm. Es gibt da ein Problem. Man hatte vergessen, die Überwachungskameras nach der Ersten-Mai-Veranstaltung im Fælledpark letzten Sonntag wieder abzumontieren. Das heißt, das Bildmaterial, das am Donnerstag aufgezeichnet wurde, darf gar nicht offiziell verwendet werden, weil es gar nicht hätte aufgezeichnet werden dürfen. Der Nachrichtendienst der Polizei würde einen Mordsärger bekommen, wenn herauskäme, dass man Überwachungskameras außerhalb des genehmigten Zeitraums hat laufen lassen.«
Rose sah ihn an, als hätte er sie nicht alle. »Aber wir dürfendie Aufnahme den Bewohnern zeigen, bei denen wir an der Tür klingeln?«
Carl nickte. Sie hatte recht. Es war komplett gaga. Bürokratie und Überwachungsstaat in schönster Eintracht.
Systematisch liefen sie die kleinen Straßen zwischen den zweistöckigen, freundlich hellgelben Reihenhäusern ab. Erst Straße A in die eine Richtung, dann Straße B in die andere und so weiter. Stinklangweilige Routine an einem stinknormalen Mittwoch. Wären alle Anwohner zu Hause gewesen, hätte man sie nur auf der Liste abzuhaken brauchen, aber weit gefehlt.
Beim einhundertzehnten Haus hatte Carl die Faxen dicke und ließ den Chef raushängen: Sollte Rose doch in dieser Stockrosenidylle selbst sehen, wie sie klarkam.
»Das hier ist meine letzte Wohnung«, sagte er und schaute einer Gestalt zu, die hinter den Sprossenfenstern hantierte. »Den ersten Stock und die nächsten Straßen überlasse ich dir.«
»O-kay.« Je nach Betonung ließ sich dieses zweisilbige Wort in alle möglichen Richtungen drehen. Im vorliegenden Fall drückte es alles außer Zustimmung aus. Am ehesten klang es noch wie die Aufforderung zu einer näheren Begründung, aber darauf hatte Carl nun wirklich keine Lust.
»Marcus Jacobsen geht am Freitag in Pension«, sagte er stattdessen. Sollte Rose doch an der Information kauen – wenn sie denn überhaupt Eindruck auf sie machte. Sie kannte den Mann ja eigentlich kaum.
»Super, Carl, wie du mich auf die Arbeit bei der Polizei vorbereitest«, sagte sie zuckersüß und presste den Finger nachdrücklich auf die Türklingel.
Carl horchte. Es klang, als ob die Gestalt, die er hinter dem Fenster gesehen hatte, erst hinter der Tür herumschlich, bevor sie endlich aufmachte.
»Ja?« Vor ihnen stand eine stark gepuderte Ausgabe seinerSchwiegermutter. Sie war mindestens zwanzig Jahre älter als alle anderen, die sie bisher befragt hatten.
»Augenblick«, sagte sie und zog an einem Paar Gummihandschuhen, dem Pendant zu Assads, die er benutzte, wenn er – was inzwischen selten vorkam – den Keller sauber machte.
»Augenblick«, wiederholte sie, steckte eine Hand in den Kittel, kam aus der Wohnung und stellte sich ins Sonnenlicht am Eingang. Dann fischte sie eine zerknautschte Packung aus der Schürzentasche und steckte sich eine Zigarette an. Beim ersten tiefen Zug zitterte sie fast vor Behagen.
»So«, sagte sie. »Jetzt bin ich so weit. Was wollt ihr?«
Carl zog die Polizeimarke heraus.
»Ja, ja«, sagte sie. »Das Stück Plastik können Sie wieder einstecken. Wir wissen alle, wer ihr seid und dass ihr hier rumlauft und Fragen stellt. Glaubt ihr denn, die Leute unterhalten sich nicht?«
Klar, die Buschtrommeln. Dabei waren sie noch keine drei Stunden da.
»Seid ihr drauf aus, die Leute zu belästigen oder ihnen zu helfen?«
Carl sah auf die Liste der Bewohner von Brumleby. »Soweit ich sehen kann, ist unter dieser Adresse keine Dame Ihres Alters gemeldet, sondern eine Birthe Enevoldsen, und die ist einundvierzig. Darf ich also fragen, wer Sie sind?«
»Was heißt denn bitte ›meines
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