Erzaehl es niemandem
vorbereitet sein mit köstlichen Schnittchen, belegt mit
geräuchertem oder mariniertem Lachs, Kjøttrull aus Rentierfleisch, eingelegtem
Sild-Hering, meiner geliebten Leverpostei – Leberwurst – und dem von mir nicht gemochten
Geitost – dem braunen Ziegenkäse. Und wie immer würde mich mein Großvater,
während die anderen schon redeten und aßen, an die Hand nehmen und mit mir zu
dem dunklen Eichenbuffet im Esszimmer gehen, die Schublade öffnen und mir
hundert Kronen in die Hand drücken. Dabei würde er auf Deutsch »Das Taschengeld
für die nächsten Wochen« sagen und sich zu mir hinunterbeugen. Und ich würde
ihn umarmen und sagen: »Tusen takk, kjære Morfar 9 !«
Hvem er Quisling?
April 1940
Am frühen Morgen des 9. April 1940 tobt ein Unwetter mit
heftigem Schneefall und starkem Wind über Harstad. Der Dampfer der Hurtigrute hat angelegt und bleibt länger als üblich am Kai liegen. Lillian ist vom
Schneesturm aufgewacht, geht nach unten ins Wohnzimmer und sieht, wie ihre
Eltern mit entsetzten Gesichtern vor dem Radio sitzen. »Es ist Krieg, Lillian«,
sagt die Mutter mit tonloser Stimme.
Soeben ist durchgegeben worden, dass die Deutschen ohne
Kriegserklärung Norwegen angegriffen haben. Über die Hintergründe des Angriffs
gibt es zunächst nur Gerüchte: Der deutsche Kreuzer Blücher sei im
Oslofjord von Norwegern beschossen und versenkt worden. Viele Soldaten seien
dabei umgekommen, aber einige Überlebende hätten sich auf die Ask-Inseln retten
können.
Später würde man es genauer wissen: Die Blücher ist in
Brand geschossen und torpediert worden, sodass sie um 7.23 auf der Position 59
Grad 42 Min. Nord und 30 Grad 36 Min Ost mit 125 Marinesoldaten und 195 Heeressoldaten an Bord untergeht. Die Ironie dabei: Die Geschütze, die neben
den beiden Torpedos den Untergang der Blücher verursachten, sind deutsche 28-cm-Krupp-Kanonen aus Essen und tragen die biblischen
Namen Moses, Aron und Joshua.
Die Berthungs sind von den Nachrichten wie gelähmt. Am Tag zuvor hat
sie schon die Meldung aufgeschreckt, dass ein deutsches Truppentransportschiff
von einem polnischen U-Boot in der Nähe von Lillesand torpediert worden ist.
Die Überlebenden haben den Fischern, die sie retten konnten, erzählt, dass sie
unterwegs nach Bergen gewesen sind.
Was wollen die Deutschen eigentlich dort? Und was sucht ein
polnisches U-Boot in norwegischen Gewässern? Das Radio in der Halvdansgate
läuft an diesem 9. April 1940 ununterbrochen, und die Meldungen überschlagen
sich: Deutsche Soldaten marschieren durch die Straßen von Oslo, der Flugplatz Sola bei Stavanger liegt unter Beschuss, andere Städte werden ebenfalls bombardiert,
die norwegische Regierung, das Parlament und der König befinden sich auf der
Flucht nach Hamar.
Auch in Harstad, mehr als eintausend Kilometer nördlich, sind die
Fanfaren des Krieges nun zu hören. Vor allem, nachdem jetzt zur allgemeinen
Mobilmachung aufgerufen worden ist. Lillian und ihre Eltern erfahren aus den
Nachrichten von einer fürchterlichen Seeschlacht bei Narvik, in der Hunderte umgekommen
sein sollen. Ein deutscher General namens Dietl soll mit seinen Gebirgsjägern
Narvik bereits eingenommen haben, und die norwegischen Panzerschiffe Eidsvoll und Norge sollen im Hafen versenkt worden sein.
Wenig später erklärt ein gewisser Vidkun Quisling im Radio, dass
seine Nationale Regierung die Macht übernommen habe und jeglicher Widerstand
eingestellt werden solle. »Hvem er Quisling – wer ist Quisling?« Lillian hat
den Namen noch nie gehört. John antwortet knapp: »Ein Verräter aus Oslo.«
In den darauf folgenden Stunden kommen Meldungen, dass die Orte
Elverum, Åndalsnes und Bodø von deutschen Stukas bombardiert wurden.
Norwegische Soldaten kämpften gegen die vorrückenden deutschen Truppen im Süden
des Landes. Viele wichtige und strategische Brücken sind gesprengt worden, um
zu verhindern, dass der Feind vorrücken kann. Lillian und ihre Eltern hören
diese Meldungen mit wachsender Angst. Es ist schließlich Annie, die fragt:
»Wann kommen die Alliierten und helfen uns?«
Wie den Berthungs geht es an diesem Tag den meisten Norwegern. Sie
sind von dem deutschen Überfall völlig überrascht. Die Norweger hatten zwar
nach dem deutschen Angriff auf Polen im September 1939 befürchtet, dass dies
kein Einzelfall bleiben würde, aber sie waren dennoch irgendwie sicher gewesen,
dass der Krieg nicht bis zu ihnen in den Norden kommen würde: »Man
glaubte ganz einfach,
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