Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzaehl mir ein Geheimnis

Erzaehl mir ein Geheimnis

Titel: Erzaehl mir ein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Cupala
Vom Netzwerk:
glücklich seid, dann wartet erst mal ab, bis das Baby da ist.«
    Und dann erzählte sie uns von ihrer Fehlgeburt. Es war im September vor einem Jahr. »Sie war mein kleines Mädchen«, schrieb Nik, obwohl es in der zwölften Woche passiert war und sie es gar nicht genau wissen konnte. »Sie sollte Lashaya heißen.«
    Ich konnte mir jetzt, da ich Lexi gesehen hatte, nicht mehr vorstellen, sie zu verlieren. Xanda war eine Frühgeburt gewesen, aber es gab meines Wissens in meiner Familie bisher keine Fehlgeburten. Was ich wusste, war, falls es denn so etwas wie Glück für mich überhaupt noch gab, dann nur durch Lexi.
    »Was würdest du tun, wenn du Micah James verlieren würdest?«, fragte ich Nik.
    »Hoffnung hält uns aufrecht.« Das war alles, was sie dazu sagte.
    Hinter der Kellertür war ein dumpfer Schlag zu hören, und kurz darauf kam mein Dad in die Küche. Wir starrten uns überrascht an.
    »Oh, Rand. Sorry. Ich wusste nicht, dass du noch hier bist.« Er hielt seine Werkzeugkiste ganz verlegen vor sich, als versuchte er, sich dahinter zu verstecken.
    Ich hatte gerade die Haferflocken in der Hand und fragte: »Warum bist du noch da?«
    Dad zuckte mit den Schultern.
    »Die halbe Truppe hat sich krankgemeldet, wir liegen hinter dem Zeitplan mit dem Cumberland-Projekt …« Er fuhr sich durch die Haare und Staub flog herum wie winzige Leuchtpunkte. »Hey«, sagte er. »Wir wär’s, wenn ich uns ein paar Pancakes mache?«
    Pancakes waren Xandas Lieblingsessen. Als er den Teig zusammenmischte und ich die Pfanne holte, kamen lauter Erinnerungen an früher in mir hoch, als Dad mit Mom, Xanda und mir jeden Samstag ein Riesenfrühstück gemacht hatte. Bevor er Andre in unser Leben brachte und sich alles veränderte.
    »Hier«, sagte er, während er vorsichtig eine Spur Sirup über meinen Pancake zog. »Ich hab mir schon ein paar Gedanken über das Bühnenbild der Weihnachtsaufführung gemacht. Deine Mom sagte, du wirst dieses Jahr die Bemalung übernehmen.«
    »Jepp.«
    Er aß ein großes Stück Pancake und wartete, ob ich noch etwas sagen würde. Er hatte den Teig ganz dünn verteilt, so wie Xanda es gemocht hatte. Ich fragte mich, ob er versuchte, eine Brücke zu schlagen zwischen Trauer und Vergessen. Ich wollte ihn nach Xanda fragen, auch nach Andre. Ich wollte ihm erzählen, dass es ein Mädchen wird. Lexi. Jetzt war die Gelegenheit, ihm mein Herz auszuschütten.
    Ein greller Klingelton durchbrach die Stille. Ein Anruf auf seinem Handy, vielleicht von seinem Team, von Mom, von den Cumberlands, egal. Der Moment war vorbei. Er nahm ab und ging hinaus. Ich schlang den Rest meines Pancakes hinunter und klappte mir noch einen zweiten zusammen, um ihn mitzunehmen. Ich musste zur Schule.
    Zurzeit versuchte ich, ein Zusammentreffen mit Kamran unter allen Umständen zu vermeiden – wobei ich ihm in Englisch nicht aus dem Weg gehen konnte. Mit seinem Kopf direkt vor mir hatte ich keine Chance, mich auf die Auswirkungen des Rassismus in Wer die Nachtigall stört oder Illusion und Realität in Hamlet zu konzentrieren. Von hinten war es unmöglich zu erraten, was er denken mochte – doch er stürmte aus dem Klassenraum, sobald es klingelte, und ließ nur einen Geruch nach Feigen und nackter Angst zurück. Früher oder später mussten wir reden.
    Während ich in der Mittagspause im Kunstraum arbeitete, platzte meine verrückte Kunstlehrerin immer wieder herein, um sich meine Bewerbung für die Baird anzusehen. Abgabe war am ersten Dezember, nur noch ein Monat.
    Ich hatte fast alles fertig, es fehlten nur noch die letzten sechs Folien, vier davon freie Arbeiten, die meine persönliche Auffassung von Ästhetik widerspiegeln sollten; das würde das Thema sein, das ich verfolgen wollte, falls ich in dem Kunstprogramm aufgenommen werden würde. Jeder Laie konnte sehen, dass sich alle meine Arbeiten nur um eine Frage drehten: Konnte ich mit den Labyrinthen die Wege im Leben meiner Schwester zurückverfolgen und zum Kern des Ganzen gelangen? Jetzt gab es eine neue Frage: War es ein furchtbarer Fehler, Lexi zu behalten?
    Und dann waren da noch die Porträts. »Du brauchst mindestens zwei in deiner Mappe«, sagte Mrs Crooker ständig. »Was hat es mit Gesichtern auf sich, dass gerade sie dich immer dazu bringen, in diese Labyrinthe abzutauchen?« Ich habe ihr nicht erzählt, dass es nur einen Menschen gab, den ich zeichnen würde. Und genau das war so schwer. Denn ihr Gesicht veränderte sich ständig in meinem Kopf. Das einzige

Weitere Kostenlose Bücher