Erzaehl mir ein Geheimnis
Namen und lief mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Um mich aus dem Weg zu schieben, drückte sie ihre Hand in meinen Bauch und gab Dylan einen flüchtigen Kuss.
Vielleicht war es eine Art vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit, doch plötzlich konnte ich nur noch daran denken, Lexi vor der drückenden Hand zu schützen und an die Wut, die sich in mir aufbaute und mir die Luft abschnürte. Die Wut auf Dylan, der mir nicht sagen wollte, um was es eigentlich ging. Der Zorn auf meine Eltern, wegen der Geheimnisse, die sie hatten. Auf Xanda, weil sie gestorben ist und mich einfach so in den Trümmern zurückließ. Auf Andre, was auch immer er getan oder auch nicht getan hatte. Und am meisten die Wut auf die Fee. Das Blut in meinem Kopf pochte, mir war schlecht vom Rauch, und mit dieser neuen Bedrohung kochte meine Wut über und sammelte sich in einem einzigen Gedanken: Was. Fällt. Dir. Ein .
Dann sah ich Delaney, die auf einem Stuhl stand und Kamran an ihre Hüften drückte. Mein Kopf setzte aus. Ich legte all meine Kraft und Wut in den Stoß, den ich der Fee verpasste, um sie von Lexi fernzuhalten. Sie fiel rückwärts in die Menge, stellvertretend für Dylan, für meine Eltern, für Andre und Delaney.
»Verdammt, Rand!«, schrie Delaney, als die Fee das Gleichgewicht verlor, mit den Armen ruderte und gerade noch rechtzeitig von Hellboy und einem Fight-Club-Typen aufgefangen wurde. Diese Jungs kannte ich zwar noch vom letzten Jahr aus Mathe, sie sahen aber plötzlich viel größer und bösartiger aus. Sie halfen der kleinen Fee wieder auf die Füße und dann sah ich, wer sich hinter dem grünen Glitzer mit den Flügeln verbarg: Es war Chloe – völlig schockiert und verletzt. Es schien, als hätte ich nicht ihren Körper, sondern ihre Seele geschubst.
Ich wollte Dylan erklären, dass es nicht meine Absicht war, seine Party zu ruinieren oder hier eine Szene zu machen. Ich war doch gar nicht der Typ, der andere herumstieß, schon gar nicht eine Freundin und das auch noch scheinbar ohne Grund. Er musste es in meinen Augen gesehen haben, zögerte kurz, rief aber dann: »Hau ab! Hau bloß ab!«, während Chloe sich haltsuchend an ihn lehnte und mich mit ihren traurigen, braunen Augen anstarrte. Ein paar von den Wattestäbchen kicherten: »Zickenalarm!«, dabei schlugen zwei von ihnen die Köpfe aneinander wie Schwerter. Delaney drückte sich durch die Menge, um zu Chloe zu gelangen – oder vielleicht, um mich umzubringen –, und rief: »Sieh zu, dass du Land gewinnst!«
Kamrans Gesichtsausdruck war leer und zeigte keine Regung. Dylan schrie mir nach: »Du bist genauso irre wie deine Schwester!«, während ich mich durch die Menge kämpfte und wusste, wenn ich nicht sofort hier rauskäme, dann würde ich meinen Weg nie mehr finden.
Die Augen meiner Klassenkameraden folgten mir und trafen mich wie tausend Pfeile der Verdammnis. Ich hatte Chloe geschubst, die harmloseste Person im ganzen Universum. Ich hätte Delaney keinen Vorwurf gemacht, wenn sie mich persönlich aus dem Haus gejagt und vor die Tür gesetzt hätte. Chloe weinte.
Als ich die Verandastufen hinuntersprang, hatte ich das Gefühl, ich würde gleich stürzen oder von jemandem geschubst werden. Und dann stand wie aus dem Nichts plötzlich eine in einen Mantel gehüllte Gestalt vor mir. Ich war unendlich dankbar für diesen warmen Körper, der Lexi und mich davor schützen würde, auf Dylans Gartenweg in den Tod zu stürzen. Die Gestalt sah auf, und ein Schauer des Erkennens jagte mir über den Rücken, als ich in diese Augen blickte.
»Andre?«, sagte ich.
»Yeah. Kennen wir uns?«, fragte er erstaunt.
Oh Gott, er erkannte mich nicht. Er sah nicht Xanda in meinem Gesicht oder die Trauer, die er selbst hineingemeißelt hatte.
Oder doch?
Ich antwortete nicht. Mein Mund war taub. Ich rannte an ihm vorbei, an dem Jungen, den ich einfach nicht aus meinem Kopf verbannen konnte, weg von der Party und hinaus in die Nacht.
20
Ich erinnere mich an den Tag, als Dad ihn das erste Mal mit nach Hause brachte.
Dad brachte nie Arbeiter mit nach Hause. Meine Mom sagte immer, man könne diesen Kerlen nicht trauen, sie glotzten und hätten immer schmutzige Hände. Sie laufen im Haus rum, gehen einfach ins Bad oder ins Arbeitszimmer oder ins Schlafzimmer, hinterlassen eine Spur von Baustellenstaub und klauen Gott weiß was. Schmuck. Kontoauszüge. Oder die Jungfräulichkeit deiner Tochter, wenn du sie lässt.
Anscheinend dachte Dad, Andre wäre anders.
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