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Erzaehl mir ein Geheimnis

Erzaehl mir ein Geheimnis

Titel: Erzaehl mir ein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Cupala
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Vielleicht hat er ihn deshalb über unsere Türschwelle gelassen und damit auch in das Herz unserer Familie. Nah genug, um unser Eigentum zu berühren. Um uns zu berühren.
    Ich schätze, er war siebzehn, als er anfing, für Dad zu arbeiten. Sie waren gerade auf dem Weg zu irgendeiner Baustelle in der Nachbarschaft und kamen einfach bei uns zu Hause vorbei. Dad wollte sich ein Gingerale und die Nagelpistole holen. Andre musste zur Toilette.
    Ich habe ihn zuerst gesehen.
    Und, das hätte ich Xanda aber niemals erzählt, ich habe ihn auch zuerst geliebt.
    Unten hörte ich zwei murmelnde Männerstimmen. Eine Tür wurde zugeschlagen. In der Küche klapperte es. Mom war unterwegs und hatte die strikte Anweisung hinterlassen, dass wir unsere Hausaufgaben fertig haben sollten, bevor sie wiederkam. Natürlich war ich die Brave und kämpfte mit einem Forschungsprojekt und Formulierungen. Xanda war mit einer alten Modezeitschrift beschäftigt, in der sie jeden Beitrag analysierte, der sie auf eine neue Selbst-gemachte-Klamotten-Idee brachte. Daher durchsuchte sie gleichzeitig ihren Krempel. »Ein Star muss Stil haben«, sagte sie immer.
    Xanda redete mal wieder nicht mit mir. In zwölf Jahren hatte ich gelernt, mit ihren Höhen und Tiefen zu leben.
    Wieder hörte ich eine Tür knallen und meine Neugier siegte. Ich schlich auf die Empore, von der aus man durch die Eingangshalle die Küche und das Wohnzimmer sehen konnte.
    Und da war er – jung genug, um eine Möglichkeit, aber alt genug, um ein vollkommenes Mysterium zu sein.
    Er trank mit Dad eine Limo in der Küche. Es war ein heißer Tag , rechtfertigte Dad sich später. Ich konnte ihn doch nicht einfach im Auto sitzen lassen .
    Der Junge war fast so groß wie Dad und hatte einen drahtigen, schlanken Körper. So kommt er besser in die Ecken , sagte Dad. Oder besser an der Grenzpolizei vorbei , erwiderte meine Mutter zynisch und wollte damit auf seine Herkunft anspielen. Seine Haut war cremefarben, überzogen mit einem Hauch von braun, vom Arbeiten im Freien. Schwarze Haare, die im Licht bläulich schimmerten. Er trug Stiefel, zerrissene Jeans mit einer Kette, die von seiner Hosentasche bis zu seiner Hüfte reichte, und ein abgetragenes T-Shirt mit einem Comic-Toastbrot, das hinter einem Klecks Butter herjagte. Seltsam.
    Seltsam anziehend. Er sah zu mir hoch und schenkte mir ein dermaßen strahlendes Lächeln, dass mein zwölfjähriges Herz beinahe stillstand. Niemand lächelte mich so an, nicht so, als wäre ich das einzige Mädchen im ganzen Universum oder zumindest im Haus … bis seine Augen an mir vorbeiblickten. Ich hatte Xanda nicht kommen hören. Sie stand wie verzaubert am Geländer, genauso hin und weg von diesem Mysterium, das Dad ins Haus gebracht hatte, wie ich. Sie legte ihre Hand auf meine Schulter, als ob sie mich als Stütze brauchte. Ihre Hand zitterte. Wenn ich neben ihm gestanden hätte, hätte ich vielleicht spüren können, ob er auch zitterte.
    Plötzlich wurden mir meine schmutzigen Socken unter der zu kurzen Hose bewusst. Ich wuchs ständig aus meinen Klamotten raus. Für Xandas alte Klamotten war ich zu groß und zu dünn, stattdessen musste ich immer die bescheuerten Sachen tragen, die Mom kaufte. Xanda trug eine eng anliegende weiße Bluse, die sie erst geschreddert und dann wieder zusammengenäht hatte, dazu einen von Moms alten Röcken, den sie komplett in den xandatypischen Anti-Stil umgemodelt hatte, und gestreifte Kniestrümpfe. Sie sah umwerfend aus.
    »Das ist Andre«, sagte mein Dad, der nichts von der aufgeladenen Atmosphäre mitbekam. Wir drei waren wie ein Dreieck, das unter Strom stand, sich aber blitzschnell in eine direkte Gerade zwischen Andre und Xanda verwandelte.
    So war es immer. Xanda konnte nichts dafür, dass sie Xanda war und die anderen konnten nichts dafür, dass ihnen bei ihrem Anblick die Luft wegblieb. Und diesem Jungen ging es genauso. Er war auf dem besten Weg, der Nächste in einer langen Reihe von Jungs zu werden, die sich in ihrer unwiderstehlichen Anziehungskraft verfangen hatten und darin zerquetscht wurden.
    Doch dann passierte etwas.
    Der Junge sah wieder mich an und lächelte. Ein alles umfassendes, charmantes Lächeln, als ob sich das elektrische Band zwischen ihnen geöffnet hätte. In diesem Lächeln war Platz für uns beide.
    Dann, als Dad seinen letzten Schluck nahm, war der Moment vorbei. Er klopfte Andre auf den Rücken. »Auf geht’s!«
    Plötzlich tat Xanda das, was ich nur in meinen kühnsten

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